Poison (German Edition)
fies, so hinterhältig, wie Carlos sich jetzt zu entpuppen scheint, sondern einfach nur ... neutral, dumm oder einfachen Gemüts.
Ich sitze am Tisch, versunken in meinen Gedanken, völlig teilnahmslos, weswegen ich eigentlich nicht mitbekomme, als die anderen das Thema wechseln, so sehr grübele ich über meine Erfahrungen mit Carlos. Es vergeht geraume Zeit, bis Brix mich mit seinem Ellbogen anschubst, mich damit aus meinen Überlegungen reißt, und mich alle erwartungsvoll ansehen.
»Ähm ... ja?« Meine Überraschung ist mir deutlich anzusehen. Brix und Yvonne lachen, und sogar Jonas, der die ganze Zeit mit versteinerter Miene neben mir gesessen hat, huscht ein Lächeln übers Gesicht. »Wir haben gerade über deine Frankfurter Zeiten gelästert«, klärt Brix mich auf.
»Ach, ich war doch immer brav«, wiegele ich ab, wohl wissend, dass ich eben nicht immer brav war.
»Was???«, ruft Yvonne. »Immer brav?« Sie kann ein Lachen nicht unterdrücken, fährt dann, zu Brix gewandt, fort. »Jeden Abend hat er im Poison’s an der Theke gesessen, rumgeflirtet und reihenweise Jungs abgeschleppt. Immer wenn Peter kam, hat er an ihm herumgebaggert, aber vom Feinsten!«
Ich zucke mit den Schultern, streife mir eine nicht vorhandene Haarlocke aus dem Gesicht. »Ist das verboten? Außerdem ... Peter war was ganz Besonderes. Und da ist nie, wirklich nie, was gelaufen außer unserer wunderbaren Freundschaft.« Ich bin ganz ernst, als ich diesen Satz in den Raum stelle. »Peter war ein superlieber Mensch, das müsstest du, Yvonne, eigentlich wissen. Du hast schließlich lange genug für ihn gearbeitet«, stelle ich fest, vorwurfsfrei, ohne jegliche Emotion. »Und ich vermisse ihn sehr, auch wenn ich mich längst wieder besser fühle als früher.«
Yvonne nickt mitfühlend. »Das war ja auch ein ziemlicher Schock für dich damals. Wir alle waren froh, dass du dich um die ganzen Formalitäten gekümmert hast, aber dann einfach so zu verschwinden? Ich hätte dir ganz gerne noch Danke gesagt, aber niemand wusste, wo du hin warst.«
Ich lächele. »Nach Berlin, vergessen. Weit weg von Frankfurt und von allem, was mich an meinen besten Freund hätte erinnern können. Und vor allem weit weg vom Laden ... denn DAS hätte ich kaum ausgehalten. Was ist eigentlich danach aus dem Laden geworden?«
Yvonne zuckt mit den Schultern. »Das Übliche. »Poison’s« und der »Regenbogenfisch«, also die kleine Kneipe waren Peters Erfolgsrezept. Als er gestorben ist, haben seine Eltern beide Läden zum Verkauf angeboten, und der nächste erfolgsgeile Szenegastronom – Edgar vom »Collosseum« übrigens – hat den Laden übernommen. Er hat die Gäste erst mitgezogen, dann aber das Konzept nach seinem Geschmack verändert – und schon blieben die Gäste weg. Wen wundert’s auch? Edgar ging nach einem halben Jahr pleite, weil er die immensen Kosten nicht mehr zahlen konnte, und hat an einen türkischen Investor verkauft, der den »Regenbogenfisch« als Hamam hat umbauen lassen, und aus dem »Poison’s« eine türkische Disco gemacht hat. Tja, die Gays sind nicht mehr hin, weil plötzlich nur noch Heten da waren, die Türken hatten laufend Stress mit ihren eigenen Landsleuten, dann war was mit Drogen und die Grünen haben nach insgesamt sechs Wochen den Laden zugemacht. Danach hat ein Albaner einen Tex-Mex-Laden aufgemacht, und hat damit eine Pleite hingelegt. Der dicke Klaus, der damals Schichtleiter im »Regenbogenfisch« war, wollte den Laden wieder aufmachen, hat aber keinen Kredit von der Bank bekommen.« Yvonne zuckt mit den Schultern. »Das war vor vier Wochen. Seitdem steht das Ganze leer. Schade eigentlich, denn ich hab da echt am liebsten gearbeitet ... und wieder ist ein Stück schwule Kultur bei uns gestorben.«
Ja. Jammerschade, denn ich habe an diesem Laden gehangen.
»Von einem solchen Laden habe ich als Junge immer geträumt«, vernehme ich Brix von links versonnen. Hast du??
»Würdest du dir so was zutrauen?«, frage ich, vom wilden Affen gebissen?! Ich meine, ich überlege mal ... Brix ist arbeitslos, hat kaum eine Chance auf einen Job, hat aber fünfzigtausend Abfindung. Ich habe keine Lust auf München, bin frei, zu tun, was ich möchte, und habe genügend Kredit, um zu investieren, wenn mein Eigenkapital nicht reicht ... und ich kenne den Laden, die Leute, die Szene in Frankfurt ... und man kann ja auch den ehemaligen »Regenbogenfisch« nutzen statt der großen Disco, oder?
Brix nickt. »Ja, als kleiner Bub
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