Poison (German Edition)
meinem Kopf antwortet: »Das ist Liebe«, und ich weiß, es ist ein Echo von letzter Nacht, vor dem ich schockiert geflüchtet bin, wie ich es auch jetzt am liebsten tun würde ... vor ihm, vor seiner Anziehungskraft. Doch das funktioniert nicht ... ich kann ja nicht aus der fahrenden Bahn springen. Nein, das wird nicht passieren.
»Niemand ist unwiderstehlich«, bete ich mir gebetsmühlenartig vor, »und er auch nicht«, während ich kurz die Augen schließe und es schaffe, sie geschlossen zu halten. Als ich sie kurz danach wieder öffne, bin ich innerlich sicher, auf alles gefasst, auch auf seine verdammte Sehnsucht, die mich trifft, sobald ich seinem Blick erneut begegne ... ich bin eiskalt. »Vergiss es«, denke ich, »ich bin stärker als du.«
Zumindest so lange, bis ich mich betont gleichgültig von ihm abgewandt habe, um aus dem Fenster zu sehen. Die Bahn fährt gerade am Wilhelmsplatz wieder los. Nicht, dass ich bemerkt hätte, dass wir gehalten haben ... Gott sei Dank muss ich die Nächste raus. Also wird es keine zweite Flucht geben ... geben müssen, denn so lange kann ich mich noch beherrschen ... hoffe ich zumindest.
»Macht er dich etwa nicht an, Brix?«, will Ducky wissen. Doch, bis zum Wahnsinn, aber das braucht Ducky nicht zu wissen, denn das würde meinem Ruf schaden. Also antworte ich mit einem knappen »Nope«, halte weiterhin den Blick in Richtung Tunnelwand. Stille. Das muss er erst einmal verdauen, zumal Ducky meinen Typ und meine Maßstäbe, nach denen ich meine Partner aussuche, ziemlich genau einschätzen kann. Er würde Condom-Boy garantiert nicht abweisen. Klar. Wahrscheinlich starrt er ihn gerade ungeniert an und versucht, an SEINEM Körper einen Makel zu finden, den es nicht gibt ... außer, dass er mich verrückt macht.
»Oh, Kontrolleure«, sagt Ducky als Nächstes und fischt seinen Fahrschein aus dem Portemonnaie. Ich nicht, denn ich kenne die. Yep, ehemalige Kollegen. Während der paar Semester, in denen ich Musik studiert habe, habe ich bei der BVG als Kontrolleur gejobbt. Wurde gut bezahlt, und außerdem war es genau der richtige Job für mich. Ich konnte fahren, mit was und wie ich wollte ... war meist alleine unterwegs ... brauchte keine Rücksicht auf irgendjemanden zu nehmen, im Gegenteil, ich hatte Macht und konnte sie genießen ... und ausnutzen, ganz wie ich wollte.
»Jetzt weiß ich’s! Du hattest ihn schon«, spekuliert Ducky in triumphierendem Ton, und boxt mich auf den rechten Oberarm. Gute Idee und prima Ausrede. Danke, Ducky. Ich nicke knapp und fixiere weiter die draußen vorbeirauschende Dunkelheit, nur unterbrochen von den grünen Leuchten auf dem Dienstweg neben dem Gleis, die zu den Notausgängen weisen.
»Und? Wie war’s?«, bohrt er weiter.
Ich zucke nur die Schultern und sehe in SEINE Richtung, als müsste ich zunächst überlegen, dabei weiß ich es ganz genau. Zu gut ... leider. Condom-Boy diskutiert gerade mit Kalle. Netter Kerl eigentlich, aber er geht viel zu strikt nach den Regeln vor, wahrscheinlich bis zu seiner Pensionierung, die nach meinen Berechnungen nicht mehr wirklich fern ist. Tja, und Condom-Boy hat das Pech, heute sein erster Kunde zu sein, wie es scheint. Er hat kein Ticket, keinen Ausweis dabei, und nur einen Hunderteuroschein, den Kalle dann natürlich nicht wechseln kann. Deswegen soll er zum Rathaus Steglitz mitkommen, was ihm gar nicht gefällt. Kann ich verstehen. Ich grinse und beobachte ihn weiter, fange jeden Eindruck seiner Gestik, seiner Mimik, seiner Hilflosigkeit auf, weil er der Situation nicht ausweichen kann ... und fange einen Blick von ihm auf, zu kurz, um ihn zu deuten, aber lang genug, um die Erinnerung an den letzten Traum von ihm auszulösen ... dieses »Lieb mich«, was mich damals so irritiert hat und es jetzt sofort wieder schafft.
Ich will nur noch hier raus, und stehe auf, meinem inneren Drang nachgebend und damit wieder flüchtend, was mir aber nicht rechtzeitig genug klar wird, was allerdings dazu führt, dass Ali, der andere Kontrolleur, auf mich aufmerksam wird und mich grüßt.
»Hallo, lass stecken, Kollege«, winkt er mir zu und geht weiter. Ich nicke dankbar und grinse, bevor ich mich wieder Condom-Boys Versuchen, Kalle zu überreden, zuwende und mitbekomme, dass ER mich wütend anfunkelt. Wie bitte? Wer hat denn hier Grund, sauer zu sein? DU machst MICH irre, nicht umgekehrt. Ich weiß gerade nicht mehr, wo vorne und hinten ist, und irgendeine Sicherung brennt bei mir durch.
»Du willst wissen,
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