Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
Vom Netzwerk:
Augen stand ungläubiges Staunen zu lesen.
    »Was denn? Keine Vorträge mehr?« fragte Karp höhnisch. »Die Umstrukturierung richtet sich nach den Bedürfnissen von … was? Ich kann Sie nicht hören. Lauter, Genosse! … richtet sich nach den Bedürfnissen der Arbeiterklasse. Das sollten Sie aber wissen, Genosse!«
    Ein Mann übt sich im Gewichtheben, bleibt in Form, aber das ist nicht das gleiche wie schwere körperliche Arbeit, und es war offensichtlich, daß Wolowois Muskeln im Vergleich zu Karps wachsweich waren. Der Erste Maat zappelte und schlug wild um sich, aber der Trawlmaster hielt das Messer so mühelos in seinem Hals fest, wie ein anderer einen Lichtschalter betätigt hätte. So verfuhren sie in den Arbeitslagern, wenn die Urkas einen Spitzel entlarvten. Immer zielten sie auf die Kehle ihres Opfers.
    »Das Soll muß raufgesetzt werden? Noch mehr Arbeit? Was Sie nicht sagen, Genosse!« höhnte Karp.
    Wolowois Gesicht wurde zusehends dunkler, und gleichzeitig färbten seine Augen sich weiß, so als würden all die Vorträge, die er noch gespeichert hatte, gewaltsam aus ihm herausgewrungen. Der wachsende Druck raubte ihm den Atem. Seine Zunge trat aus dem Mund.
    »Hast du dir wirklich eingebildet, ich würde dir bis in alle Ewigkeit den Arsch lecken?« fragte Karp bitter.
    Wolowois Gesicht war jetzt fast schwarz; die Pritsche stürzte gegen die Wand, und seine Hände schossen haltsuchend nach vorn. Seine Augen blickten so verwundert drein, als könne er es nicht fassen, daß all dies ihm selbst und nicht einem anderen zustieß.
    Nein, dachte Arkadi, als er genauer hinsah, Wolowoi wundert sich über nichts mehr. Er ist bereits tot.
    »Hätte er nur die Klappe gehalten«, knurrte Karp und bewegte das Messer noch einmal ruckartig erst nach rechts, dann nach links, um es schließlich wieder herauszuziehen.
    Arkadi wäre am liebsten zur Tür hinausgestürzt, aber er schaffte es lediglich, sich halbwegs aufzurappeln und, als er wieder auf den Füßen stand, einen Kanister Epoxyd zur Verteidigung an sich zu reißen. »Sie haben die Beherrschung verloren.«
    »Stimmt«, gab Karp zu, »aber ich glaube, man wird sagen, Sie hätten die Beherrschung verloren.«
    Wolowoi saß immer noch aufrecht da, als könnte er jeden Augenblick wieder in das Gespräch eingreifen. Vom Hals bis zur Brust schien sein Körper unter dem Strom des ausgetretenen Blutes geborsten zu sein.
    »Hat man Sie je in einer psychiatrischen Abteilung behandelt?« fragte Arkadi.
    »Waren Sie mal in der Klapsmühle? Na bitte, dachte ich mir’s doch.« Karp lächelte. »Ich bin geheilt. Ich bin ein ganz neuer Mensch. Und nun will ich Sie mal was fragen.«
    »Nur zu.«
    »Gefällt Ihnen Sibirien?«
    »Wie bitte?«
    »Ich möchte Ihre Meinung hören. Gefällt Ihnen Sibirien?«
    »Sicher.«
    »Was ist denn das für eine beschissene Antwort? Ich liebe Sibirien. Die Kälte, die Taiga, die Jagden, einfach alles, aber vor allem die Menschen. In Sibirien gibt es noch echte Menschen, wie die Eingeborenen hier oben. Die Leute in Moskau geben sich hart, aber in Wirklichkeit sind sie wie Schildkröten. Wenn man ihnen ihren Panzer nimmt oder sie in den Osten verpflanzt, dann kann man sie buchstäblich zertreten. Für mich war Sibirien das Beste, was mir passieren konnte. Da habe ich meine wahre Heimat gefunden.«
    »Wie schön für Sie.«
    »Wenn ich nur an die Jagden denke.« Karp wischte das Messer an Wolowois Ärmel ab. »Es gibt Leute, die steigen mit dem Helikopter auf und ballern mit Kalaschnikows aus der Luft um sich rum. Ich ziehe eine Dragunow vor, mit Infrarotvisier. Und manchmal mache ich mir nicht mal die Mühe zu schießen. Wie letzten Winter, als sich ein Tiger nach Wladiwostok rein verirrte und die Hunde anfiel. Stellen Sie sich das mal vor, ein wilder Tiger mitten in einer Großstadt! Natürlich hat die Miliz ihn erschossen. Hätte ich nicht gemacht. Wissen Sie, was ich getan hätte? Ich hatte ihn wieder rausgeführt aus der Stadt und hätte ihn laufenlassen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und mir: Ich hätte den Tiger nicht getötet.« Er lehnte Wolowoi mit dem Rücken gegen die Wand. »Was meinen Sie, wie lange wird er so da sitzen bleiben können? Ich dachte mir nämlich, es wäre doch hübsch, euch beide als Paar da hinzupflanzen. Richtig schön symmetrisch, verstehen Sie?«
    Symmetrie ist allemal ein interessanter Fetisch, dachte Arkadi. Er erinnerte sich an das Vorhängeschloß an der Tür zum Bunker. Wenn es ihm gelänge, hier

Weitere Kostenlose Bücher