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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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elektrischen Fön sowie etliche Zwei-Liter-Kanister Kunstharz. Epoxyd ist ein flüchtiger Stoff. Rings um die Bank standen Sandeimer, und ein paar Farbstriche über die Außenhaut des Bootes hatten die Luft mit ätzenden Dämpfen geschwängert.
    »Kommen Sie raus, Mike«, rief Arkadi. »Ich will mich nur mit Ihnen unterhalten.«
    Angesichts des elegant geschwungenen Bugs konnte sich Arkadi gut vorstellen, wie die Baidarka leicht über die Wellen gleiten würde. Und er verstand auch, warum Sina sich so zu Mike hingezogen gefühlt hatte. Einen Wassermann, so hatte sie ihn genannt, einen romantischen Schwärmer, der davon träumte, mit ihr den Pazifischen Ozean zu überqueren. Wie anders war er selbst, Arkadi, doch dagegen, der sich nichts sehnlicher wünschte, als an Land bleiben zu können.
    Der Fön war ein Indiz dafür, daß es irgendwo im Bunker Strom geben mußte. Arkadi entdeckte auf dem Fußboden eine Verlängerungsschnur und folgte ihr bis vor eine an der gegenüberliegenden Wand hängende Decke. Als er sie beiseite schob, öffnete sich dahinter ein zweiter, kleinerer Raum. Gleich am Eingang stand ein Generator mit Abgasrohr, das zu einem Abzugskanal führte. Ein umgestürzter Benzinkanister lag am Boden, daneben eine brennende Taschenlampe.
    Um ein Haar wäre er über Mike gestolpert, der lang ausgestreckt dalag, als wolle er den unebenen Boden umarmen. Das linke Auge des Aleuten stand offen und glänzte matt wie ein nasser, dunkler Stein. Atmung und Pulsschlag hatten ausgesetzt, aber Arkadi sah auch kein Blut. Mike hatte den Bunker nur wenige Sekunden vor ihm betreten, die Kerosinlampe angezündet und vermutlich als nächstes den Generator in Betrieb nehmen wollen. Auch ein junger Mann konnte einen Herzinfarkt erleiden. Arkadi drehte den leblosen Körper um, knöpfte das Hemd auf und begann, mit rhythmischen Bewegungen die Brust zu bearbeiten. Mikes offenes Auge war starr auf ihn gerichtet.
    »Nun mach schon, Junge, komm zu dir«, drängte Arkadi.
    An einer Kette aus metallenen Perlen trug Mike ein Medaillon um den Hals, und bei jeder Pumpbewegung Arkadis klirrte die Kette hinten im Nacken. Der Körper war zu warm für einen Toten, zu jung und stark; außerdem wartete doch nebenan das halbfertige Boot.
    »Mikhail! Los, Junge, wach auf!«
    Arkadi öffnete Mike den Mund, leerte seine Lunge in ihn hinein und atmete Biergeruch. Wieder trommelte er auf die Brust des reglos Daliegenden, als gälte es, ein dort drinnen eingesperrtes Wesen zu wecken. Das Medaillon verrutschte, klirrte vernehmlich, und Mike starrte gebrochenen Auges ins Leere.
    Oder es war ein Schlaganfall, dachte Arkadi und tastete in Mikes Mund nach der Zunge. Dabei berührte er etwas unnatürlich Hartes, und als er seine Hand zurückzog, waren die Fingerspitzen rot verschmiert. Er sperrte Mikes Mund so weit auf, wie es nur ging, leuchtete mit der Taschenlampe hinein und entdeckte eine Spitze, die aus der Zunge hervorragte wie ein silberner Dorn. Behutsam drehte er den Kopf des Jungen auf die Seite und strich ihm das dichte, schwarze Haar an der Schädelbasis zurück. Zum Vorschein kamen zwei stählerne Ovale, die aussahen wie eine altmodische Lorgnette, die sich in Mikes Haaren verfangen hatte. Amerikanische Männer hatten bekanntlich ihre Marotten: Manche trugen Ohrringe, andere protzige Fingerringe, Ledermanschetten oder Zöpfchen. Aber diese zwei blitzenden Ovale waren regelrecht in den Kopf eingegraben; es war der Griff einer Schere, die man zur Hälfte in den Schädel gerammt hatte, wie einen Eispickel, so glatt und sauber, daß kaum Blut ausgetreten war. Gegen diese Schere hatten die Kette und das Medaillon immer wieder geschlagen. Eine Hand allein kann nicht klatschen, und ein einzelnes Medaillon klirrt nicht. Geradezu dankbar sackte der Leichnam in sich zusammen, als Arkadi ihn zu Boden gleiten ließ.
    Wolowoi betrat den Bunker, dicht gefolgt von Karp.
    »Er ist tot«, sagte Arkadi.
    Der Erste Maat und der Trawlmaster schienen sich allerdings mehr für den Bunker zu interessieren als für die Leiche. »Noch ein Selbstmord?« fragte Wolowoi beiläufig, während er sich neugierig umschaute.
    »So könnte man sagen.« Arkadi stand auf. »Es ist Mike, der Aleute von der Eagle. Ich bin ihm nachgegangen, und er war höchstens eine Minute vor mir hier drin. Herausgekommen ist niemand. Sein Mörder könnte also durchaus noch im Bunker versteckt sein.«
    »Bestimmt.« Wolowoi nickte.
    Arkadi ließ den Strahl der Taschenlampe durch den zweiten Raum

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