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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Arkadi sein Gegenüber zu beruhigen. »Sie konnten ja nicht wissen, daß ich bereits unter dem Bett nachgesehen hatte, lange bevor Sie den Abschiedsbrief dort entdeckten. Oder besser gesagt, bevor Sie ihn dort deponierten, nachdem Sie ihn aus dem Ringheft gerissen hatten. Wie begriffsstutzig von mir, den Zusammenhang nicht gleich zu durchschauen. Stand in diesem Heft sonst noch was Wichtiges, das ich übersehen habe?«
    Slawa ließ ein nervöses Kichern hören. »Es waren noch ein paar Abschiedsbriefe da - zwei oder drei auf ein und derselben Seite. Die übrigen habe ich weggeworfen. Was mag sie sich dabei nur gedacht haben? Wie oft hätte sie sich denn das Leben nehmen können?«
    »Da waren Sie ja wirklich in einem schönen Dilemma: Sie leiten die Schiffskapelle und müssen zusehen, wie die Frau, der Sie zu ihrem Posten an Bord verholfen haben, mit den amerikanischen Fischern tanzt und Sie wie Luft behandelt.«
    »Das wußte ja keiner.«
    »Sie wußten es.«
    »Es war scheußlich! Während der Pause verzog ich mich auf eine Zigarette in die Kombüse, bloß um nicht mit ihr zusammenzutreffen. Sina kam rein und ging wieder raus, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Seit ich ihr nicht mehr nützlich sein konnte, existierte ich für sie einfach nicht mehr.«
    »Das stand aber nicht in Ihrem Bericht.«
    »Kein Mensch hat uns zusammen gesehen. Einmal habe ich versucht, mit ihr zu reden. Ich traf sie in der Offiziersmesse und sprach sie an, aber sie drohte mir, wenn ich sie weiter zu belästigen wagte, würde sie es dem Kapitän melden. Da begriff ich, was zwischen den beiden vorging, zwischen unserem hochgeachteten Kapitän und Sina. Was, wenn er nun auch über mich Bescheid wußte? Ich war doch nicht so blöd auszusagen, daß ich sie vielleicht als letzter lebend gesehen hatte.«
    »Und waren Sie der letzte?«
    Slawa schraubte das Mundstück auf und musterte das Rohrblatt. »Gesprungen! Es ist schon schwer genug, überhaupt ein Saxophon aufzutreiben, und wenn man dann eins zu kaufen kriegt, gibt’s wieder keine Ersatzblätter. So oder so, irgendwie halten sie immer den Daumen drauf.« Behutsam, als füge er einen Rubin in die Fassung eines Ringes, legte er das Rohrblatt wieder ein. »Ich weiß nicht. Jedenfalls habe ich gesehen, wie sie einen Plastikbeutel aus einem Suppentopf nahm. Der Beutel war über und über mit Tesaband verklebt. Sie schob ihn unter ihre Jacke und ging damit rauf an Deck. Ich habe schon unzählige Male darüber nachgegrübelt. Ich hatte zwar den Eindruck, die oben an Deck müßten sie noch nach mir gesehen haben, aber von denen hat keiner was von einer Jacke oder einem Plastikbeutel erwähnt. Ich tauge nun mal nicht zum Detektiv.«
    »Wie groß war dieser Beutel? Und welche Farbe hatte er?«
    »Es war einer von den großen. Schwarz.«
    »Sehen Sie, daran erinnern Sie sich doch immerhin! Wie kommen Sie mit Ihrem Bericht über Wolowoi voran?«
    »Ich habe eben daran gearbeitet, als Sie reinkamen.«
    »Was denn, im Dunkeln?«
    »Na und? Was ich auch schreibe, glauben wird mir sowieso keiner. Es gibt doch eine Möglichkeit, nicht wahr, am Zustand der Lunge zu überprüfen, ob er wirklich erstickt ist?« Slawa lachte bitter. »Martschuk sagt, wenn ich meine Sache gut mache, dann wird er meine Aufnahme in eine Parteischule unterstützen, mit anderen Worten, ich schaffe es nie bis zum Kapitän.«
    »Vielleicht wäre das auch gar nicht das Richtige für Sie. Was ist mit dem Ministerium?«
    »Wo ich unter meinem Vater arbeiten müßte?« Damit war Arkadis Frage beantwortet.
    »Und die Musik?«
    Slawa schwieg eine Weile, dann sagte er: »Bevor wir nach Moskau zogen, haben wir in Leningrad gewohnt. Kennen Sie Leningrad?«
    Arkadi hatte bisher nicht begriffen, wie ungeheuer einsam Slawa war. Dieser weiche junge Mann, der da vor ihm im Schatten saß, war für ein mit Teppichen ausgelegtes Büro mit Blick auf die Newa bestimmt, nicht für eine sturmgepeitschte Brücke im Nordpazifik.
    »Ja, ich kenne Leningrad.«
    »Die Basketballplätze beim Newski-Prospekt? Nein? Sehen Sie, als ich fünf Jahre alt war, hat mich mal jemand dorthin mitgenommen, und ich sah zu, wie ein paar schwarze Amerikaner Basketball spielten. Sie schienen mir so fremd und rätselhaft, als kämen sie von einem anderen Planeten. Alles, was sie taten, war anders, als ich es gewohnt war - die Art, wie sie spielten, so leicht und unverkrampft, und auch ihre Art zu lachen, so laut, daß ich mir die Ohren zuhalten mußte. Dabei waren

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