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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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den Käfig, als er auf Deck niederging. Slawa hakte die Sicherungskette auf und kletterte als erster hinaus. Arkadi folgte ihm. Zum erstenmal seit fast einem Jahr hatte er heute das Fabrikschiff verlassen. Hatte die Polar Star verlassen und ein amerikanisches Schiff betreten. Die Fischer umringten ihn, jeder wollte der erste sein, der ihm die Hand schüttelte, und neugierige Stimmen fragten: »Fala portuges?«
    Zwei hießen Diego und einer Marco, lauter kleine, dunkelhäutige Männer mit dem seelenvollen Blick der Ausgestoßenen. Keiner der drei sprach Russisch, und ihr Englisch war mehr als stümperhaft. Slawa bugsierte Arkadi eilig die Stufen zum Ruderhaus hinauf, wo Kapitän Thorwald sie erwartete, ein hünenhafter Norweger mit rosigem Gesicht.
    »Verrückt, was?« rief Thorwald. »Das Schiff läuft unter amerikanischer Flagge, doch damit hat sich’s auch schon. Diese Portugiesen verbringen zehn Monate des Jahres hier oben auf Fischfang, und ihre Familien sitzen daheim in Portugal. Gemessen an dem, was sie zu Hause verdienen würden, machen sie auf dem Kahn ein Vermögen. Das gilt auch für mich. Nun ja, ich fahre nach Hause, um Schnee zu schaufeln, und sie, um Sardinen zu braten. Aber zwei Monate an Land reichen uns.«
    Der Kapitän der Merry Jane trug einen Pyjama, dessen Jacke am Hals offenstand, so daß man die Goldketten auf seiner rotbehaarten Brust sehen konnte. Angeblich führten die Russen ihren Stammbaum auf Wikinger-Plünderer zurück; »Russe« kommt von Rot, der Haarfarbe der Invasoren. Thorwald sah aus wie einer, den allenfalls ein Plündererheer der Wikinger aus seiner Ruhe hätte aufschrecken können.
    »Die Männer sprechen offenbar kein Englisch«, sagte Arkadi.
    »Das erspart ihnen eine Menge Ärger. Sie verstehen ihre Arbeit, was brauchen sie also groß zu reden. Sie sind vielleicht ziemlich kurz geraten, aber, abgesehen von uns Norwegern, sind es die besten Seeleute, die man sich wünschen kann.«
    »Was für ein Lob«, sagte Arkadi. »Schönes Schiff haben Sie.«
    Schon die feudale Brücke war eine Offenbarung. Der Kartentisch war aus lackiertem Teakholz, das unter seiner Politur glänzte wie Achat; auf den Planken lag ein Teppich, so dick, als sei er für ein Mitglied des Zentralkomitees ausgerollt worden; und vor den Ruderrädern an jedem Ende der Konsole standen gepolsterte Drehstühle. Der Platz auf der Steuerbordseite war umgeben von Farbmonitoren von Fischpeilgeräten, Radarschirmen und Digitallesern für Funksprüche.
    Thorwald fuhr mit der Hand in seine Pyjamahose und kratzte sich. »Ja, der Kahn ist solide gebaut, genau richtig fürs Beringmeer. Warten Sie nur, bis wir auf Eis stoßen. Wenn Sie mich fragen, ist es verrückt, eine Nußschale wie die Eagle in diesen Gewässern einzusetzen. Genauso verrückt, wie Frauen auf eine solche Fahrt mitzunehmen.«
    »Haben Sie Sina Patiaschwili gekannt?« fragte Slawa.
    »Wenn ich fische, fische ich. Wenn ich ficke, dann ficke ich. Entweder oder.«
    »Sehr vernünftig.«
    Thorwald fuhr ungerührt fort: »Ich habe Sina nicht gekannt, und ich war auch nicht auf diesem Fest. Ich hab mit Martschuk und Morgan in der Offiziersmesse gesessen und versucht, ihnen zu zeigen, wo wir auf wirklich gute Fischgründe stoßen würden. Manchmal habe ich den Eindruck, Russen und Amerikaner sind eigentlich gar nicht an Fischen interessiert.«
    Slawa und Arkadi stiegen hinunter in die Kombüse, wo die Mannschaft sich zu einer Mahlzeit aus gesalzenem Kabeljau und Wein zusammengefunden hatte, einem Mittagessen, wie man es sich schwerlich auf einem sowjetischen Schiff hätte vorstellen können. Fischen war in jedem Fall Knochenarbeit, doch auch hier unten war Arkadi wieder verblüfft über die Annehmlichkeiten auf der Merry Jane: der große Herd mit den Schiebegittern, damit die Töpfe bei hohem Seegang nicht runterfielen; der Tisch mit den rutschsicheren Gedeckunterlagen, die gepolsterte Bank, die Kaffeemaschine mit der sorgsam festgeschnallten Kanne. Und dann die Kleinigkeiten, die einen Raum gemütlich machen: An einem Lampenzug hing das Holzmodell eines Segelbootes mit gemalten Augen auf dem Bug; an der Wand ein Poster von einem weißgetünchten Dorf am Meer. Welch ein Unterschied zu der Kombüse des russischen Trawlers, auf dem Arkadi vor Sachalin gedient hatte.
    Dort war nicht einmal so viel Platz gewesen, daß die Mannschaft zum Essen ihre Mäntel ausziehen konnte, und alles hatte nach Schimmel und Fisch geschmeckt.
    Während des Essens sahen sich die

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