Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
Vom Netzwerk:
eine sehr russische Pose, denn sie hatte zugleich etwas Poetisches und einen Hauch von Tragik. Slawa war bei ihr, und auf dem Tisch standen Suppe und Brot, wie Arkadi annahm, direkt aus der Küche.
    »Hoffentlich störe ich nicht?« fragte Arkadi. »Ich wäre nicht einfach so reingeplatzt, aber die Tür stand offen.«
    »Ich hab’s mir zur Regel gemacht, die Tür aufzulassen, wenn ich russischen Herrenbesuch habe«, sagte Susan. »Auch dann, wenn er ein ausgefallenes Frühstück mitbringt.«
    Ohne ihre dicke Jacke und die Stiefel war sie praktisch noch ein Mädchen. Braune Augen und blondes Haar ergaben einen reizvollen Kontrast, waren allerdings kaum einmalig. Ihr Gesicht besaß weder die vollendet ovale Rundung noch die slawischen Backenknochen russischer Frauen. Die Zigarette betonte ihre etwas zu vollen Lippen, und um ihre Augen begannen sich jene feinen Linien abzuzeichnen, die eine Frau wirklich zur Frau machen. Aber sie war zu dünn, das russische Essen schien bei ihr nicht anzuschlagen. Zugegeben, die Suppe war nichts weiter als eine kleistrige Brühe, auf der ein paar Fettaugen schwammen. Susan fischte beiläufig einen Knochen heraus und ließ ihn gleich wieder in den Eintopf zurückfallen.
    »Da ist frische Butter drin«, erklärte Slawa stolz. »Ich hab Olimpiada extra eingeschärft: >Keine Knoblauchzehen!< Ja, was ich sagen wollte - Sie müssen unbedingt den Baikalsee kennenlernen. Sechzehn Prozent des reinsten Wassers der ganzen Welt sind in dem See enthalten.«
    »Und wieviel davon ist in dieser Schüssel?« fragte Susan.
    Arkadi versuchte es noch einmal: »Ich würde nur gern wissen …«
    Slawa holte tief Luft. Falls Arkadi ihm wirklich sein kleines Essen zu zweit verderben wollte, dann würde der Dritte Maat ihm das heimzahlen. »Renko, wenn Sie noch Fragen haben, die hätten Sie gestern stellen sollen. Ich glaub, ich höre, wie die Schmutzbrigade nach Ihnen ruft.«
    »Mir ist schon aufgefallen«, sagte Susan, »daß Sie dauernd >gern irgendwas wissen< möchten. Also, was ist es diesmal?«
    »Was halten Sie vom Fischen?« fragte Arkadi.
    »Was ich vom Fischen halte? Du lieber Himmel, ich find’s großartig, sonst wäre ich wohl kaum hier, oder?«
    »Dann versuchen Sie’s doch mal so.« Arkadi nahm ihr den Löffel aus der Hand. »Wenn Sie die Knochen wollen, dann machen Sie ruhig weiter so wie bisher und suchen den Boden ab. Aber alles andere verteilt sich auf verschiedene Ebenen. Kohl und Kartoffeln zum Beispiel schwimmen ein bißchen höher.«
    »Im Baikalsee sind sogar Robben heimisch . blinde Fische .« Slawa bemühte sich krampfhaft, seinen Monolog aufrechtzuerhalten. »Überhaupt, eine Artenvielfalt …«
    »Eine Zwiebel zu fangen, das ist schon schwieriger«, fuhr Arkadi in seiner Erklärung fort. »Um die zu erwischen, braucht man Hochseeerfahrung. Ah!« Triumphierend schöpfte er eine verbrannte Perlzwiebel aus der Suppe.
    »Wie steht’s mit Fleisch?« fragte Susan. »Das ist nämlich ein Fleischeintopf.«
    »Theoretisch.« Arkadi gab ihr den Löffel zurück.
    Susan aß die Zwiebel.
    Slawa verlor die Geduld. »Renko, Ihre Schicht hat längst begonnen.«
    »Die Frage mag Ihnen albern vorkommen«, sagte Arkadi zu Susan, »aber ich hätte gern gewußt, was Sie auf dem Fest anhatten.«
    Sie mußte unwillkürlich lachen. »Jedenfalls nicht mein Ballkleid aus Collegezeiten.«
    »Ballkleid?«
    »Mit Reifrock und Mieder. Aber lassen wir das. Sagen wir, ich war in Bluse und Jeans da.«
    »Eine weiße Bluse und Blue jeans?«
    »Ja. Warum fragen Sie?«
    »Waren Sie zwischendurch mal draußen, um Luft zu schöpfen? Vielleicht sogar an Deck?«
    Susan schwieg. Sie lehnte sich zurück und musterte ihn mit offenem Mißtrauen. »Sie stellen immer noch Nachforschungen über Sina an?«
    Slawa war nicht minder empört. »Das ist erledigt. Haben Sie gestern abend doch selbst gesagt.«
    »Schon«, räumte Arkadi ein, »aber heute morgen habe ich meine Meinung geändert.«
    »Warum sind Sie so auf uns Amerikaner fixiert?« fragte Susan.
    »Auf diesem Fabrikschiff gibt es Hunderte von Russen, aber Sie kommen immer wieder zu uns. Wie mein Radio, das bringt auch immer dasselbe.« Sie wies mit der Zigarette auf einen eingebauten Lautsprecher in der Ecke ihrer Kabine. »Anfangs habe ich mich gewundert, weil es nicht funktionierte. Dann bin ich hochgeklettert, und was habe ich gefunden? Eine Wanze! Sehen Sie, der Apparat ging schon, bloß nicht so, wie ich es erwartet hatte.« Sie legte den Kopf schräg und blies den

Weitere Kostenlose Bücher