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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Temperatur von minus vierzig Grad dringt ein schwächerer, frostiger Luftzug. Trotzdem konnte Arkadi ihn selbst durch den Sack hindurch spüren, und er fing an zu strampeln und sich mit aller Kraft hin und her zu winden. Zu spät. Sie warfen ihn hinein.
    Beim Aufprall riß der Gürtel. Arkadi rappelte sich auf, doch noch bevor er den Sack abstreifen konnte, hörte er die Tür zuschlagen und das Schloß einrasten. Er stellte fest, daß er auf einer Holzkiste stand. Als er das Tuch vor seinem Mund aufgeknüpft und den Knebel herausgezogen hatte, verbrannte ihm der erste freie Atemzug schier die Lungen. Es war ein Witz, es konnte nur ein Witz sein. Weißer, fast flüssiger Dampf waberte aus dem Bohlenbelag und drang aus den Wänden. Durch die Planken sah er den Kühlrost und die mit Eisskeletten überzogenen Rohrleitungen. Seine Füße standen in einem Nebel aus milchigem Dampf. Er konnte zusehen, wie sich die Haare auf seinem Handrücken aufstellten und mit Reif überzogen. Sein Atem gefror ihm fast noch auf den Lippen und verwandelte sich im Nu in glitzernde Schneekristalle.
    Seine Hand langte schon nach dem Rad der Tür, als er sich eben noch rechtzeitig besann. Mit der bloßen Hand wäre er unweigerlich am Metall klebengeblieben. Also umwickelte er das Rad mit dem Sack und warf sich dann mit voller Wucht dagegen, doch nichts regte sich. Die Männer draußen hielten die Tür aller Wahrscheinlichkeit nach zu, und es bestand nicht die leiseste Chance, daß er drei oder vier von ihnen allein würde überwältigen können. Er rief um Hilfe. Aber der Kühlraum war mit zehn Zentimeter dickem Fiberglas isoliert, sogar die Innenseite der Tür war abgedichtet. Niemand würde ihn hören, es sei denn, jemand ginge zufällig direkt draußen vorbei. Während der letzten Woche war der Fisch aus den Schnellgefriermaschinen im Achterraum verstaut worden, um Gleichlastigkeit zu erzielen. Falls er sich nun im Laderaum mittschiffs befand, so würde sich wohl kaum jemand hierher verirren, der seine Rufe hätte hören können. Über ihm, aber außer Reichweite, befand sich eine isolierte, wasserdichte Luke. Auch durch die würde ihn niemand hören. Zwei Kisten weiter unten befanden sich eins der eingesetzten Zwischendecks und der Zugang zu einer tieferen Ebene sowie eine weitere Tür. Arkadi hatte keine Ahnung, wie er die zwei Kisten hätte wegrücken sollen, von denen jede ihre Vierteltonne wog. Auf einer von beiden lag eine zusammengeknüllte Plane, steifgefroren. Der Stempel auf den Kisten lautete: »Gefrorene Seezunge - Erzeugnis der USSR.« Das Ganze war alles andere als ein Witz, dennoch kam ihm die Sache irgendwie komisch vor.
    Erfahrene Nordlandschiffer kannten alle Stadien der Unterkühlung. Er zitterte. Zittern war gut. Eine Weile konnte der Körper seine Normaltemperatur durch tüchtiges Frösteln und Bibbern halten. Trotzdem sank die Temperatur unter Umständen wie diesen etwa alle drei Minuten um jeweils ein Grad. Wenn sie um zwei Grad gefallen war, würde er aufhören zu zittern, sein Herz würde langsamer schlagen und die Blutzufuhr zu Haut und Gliedern würde unterbrochen werden, um Kernwärme zu speichern; so kam es zu Frostbeulen und Erfrierungen. Sobald die Körpertemperatur um elf Grad gesunken war, würde sein Herz ganz aussetzen. Das Koma trat auf halbem Wege ein, ihm blieben also rund fünfzehn Minuten.
    Und da gab es ein weiteres Problem. Arkadi spürte die klassischen Vergiftungserscheinungen, wie er sie schon öfter bei Seeleuten beobachtet hatte, die Dämpfe schnüffelten: Blinzeln, Schwindelgefühl, Rauschzustand. Manchmal heulten die Männer wie Hyänen, manchmal tanzten sie die Wände hoch. Arkadi verspürte den unüberwindlichen Drang zu lachen. War er zur See gegangen, um in diesem Eiskasten zu sterben? Welch ein Witz!
    Seine Arme schnellten krampfhaft auf und nieder, als ob ein Wahnsinniger ihm die Knochen verrenkte. Er hatte schon bei solcher Kälte gearbeitet - zugegeben, in gefüttertem Overall, Filzstiefeln und pelzverbrämter Kapuze. Rauhreif zauberte jetzt einen ganz besonderen weißen Pelz auf seine Schuhe und die Aufschläge seiner Hose. Er schwankte, versuchte aber eisern, das Gleichgewicht zu halten und nicht in den Spalt zwischen den Kisten zu treten. Er war sicher, falls er ausrutschen sollte, würde er seine Beine nicht wieder freibekommen.
    In Brusthöhe vor sich sah er ein Siebblech, das den Thermostat schützte. Mit den Fingernägeln schaffte er es nicht, das Blech zu öffnen - wieder ein

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