Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
Vom Netzwerk:
rasch in ein blauviolettes Flammenspiel, das gleich darauf in dicken schwarzen Rauch überging. Rings um das Feuer, auf Bohlen und Kisten, bildete sich dort, wo das Eis taute, wieder gefror und abermals schmolz, eine feuchtschimmernde Glasur. Arkadi saß neben dem Feuerchen und hielt die Hände über die Flamme, um ihre Wärme einzufangen. Er erinnerte sich an ein Picknick in Sibirien, bei dem es gefrorene Fischfilets gegeben hatte, gefrorene Streifen Rentierschinken, gefrorene Beeren in Pastetchenform und sibirischen Wodka, der ständig über dem Feuer gewendet werden mußte. Im Jahr zuvor hatte ein Intourist-Führer eine amerikanische Reisegruppe in die Taiga begleitet und ihnen ein noch viel üppigeres Mahl vorgesetzt. Dabei hatte er allerdings vergessen, den Wodka am Feuer zu erwärmen. Nach zahlreichen Trinksprüchen mit heißem Tee auf die internationale Freundschaft, auf gegenseitige Achtung und ein besseres Verständnis der Völker untereinander, schenkte der junge Mann den fast gefrorenen Wodka in die Gläser und zeigte seinen Gästen, wie man ihn in einem Zug hinunterkippte. »Schauen Sie, so«, sagte er, neigte das Glas, trank es aus und fiel tot um. Was der Ärmste nicht bedacht hatte war, daß sibirischer Wodka fast purer Alkohol ist und daher selbst bei einer Temperatur noch flüssig bleibt, bei der die Speiseröhre gefriert und das Herz wie von einem Schwerthieb getroffen stehenbleibt. Der bloße Schock reichte aus, den armen Jungen zu töten. Natürlich war das traurig, aber es war andererseits auch wahnsinnig lustig. Man stelle sich nur vor, wie die verdutzten Amerikaner um ihr Lagerfeuer herumsaßen, ihren russischen Führer anstaunten und einander fragten: »Ist das wirklich ein typisch sibirisches Picknick?«
    Es war ein ungleicher Kampf, dieses Ringen zwischen dem mageren Lumpenfeuer und dem Eiskäfig des Laderaums. Die Flammen schrumpften zu Lichteraugen, zu einem Nest inbrünstig sich windender Glühwürmchen und erloschen schließlich in einem letzten schwarzen Rauchfähnlein über einem Häufchen Asche. Kisten und Planken waren zwar rußig, aber nicht einmal verkohlt.
    Benzin hatte durchaus Ähnlichkeit mit sibirischem Wodka. Mit jedem Moment fühlte sich Arkadi sibirischer. Jetzt, da er vor der Küste Amerikas segelte, hatte er diesen ehrenvollen Grad endlich errungen. Immer weiter kroch der Rauhreif an seinen Hosenbeinen und Ärmeln hoch. Er zwinkerte, damit die Augen nicht zufrieren konnten, und sah zu, wie sein Atem sich in gleißende Kristalle verwandelte, die erst emporschwebten und dann wie ein zarter Flockenreigen niedergingen. Aber wie sollte ein Sibirier auch sonst atmen? Hätte er nicht einen guten Führer abgegeben? Nur für wen?
    Zeit, sich hinzulegen. Er versuchte, die Plane von der Kiste zu zerren. Das würde eine brauchbare Decke abgeben. Als das steifgefrorene Tuch endlich nachgab und wegrutschte, kam darunter Sina Patiaschwili in einem durchsichtigen Plastiksack zum Vorschein. Auf der Innenseite war der Sack mit herrlichen Mustern *aus Eiskristallen überzogen, so daß es aussah, als trüge der Leichnam ein diamantenbesticktes Gewand. Sina war weiß wie Schnee, und ihr Haar war mit Eissplittern bestäubt. Ein Auge stand offen, als wundere sie sich, wer ihr da Gesellschaft leisten kam.
    So weit wie möglich von Sina entfernt, rollte Arkadi sich in einer Ecke zusammen. Er glaubte nicht, daß das Rad sich wirklich drehte, bis die Tür quietschend aufsprang. Natascha Tschaikowskaia füllte den Türrahmen und starrte mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund erst die Überreste des Feuers, dann Sina und schließlich ihn an. Im nächsten Augenblick stürzte sie herein und hob Arkadi hoch, behutsam zunächst, damit er sich nicht die Haut aufriß, doch als sie ihn einmal vom Boden gelöst hatte, stemmte sie ihn so mühelos wie ein Gewichtheber seine Hantel. Arkadi war bis jetzt noch nie von einer Frau getragen worden. Aber vermutlich würde Natascha das nicht als Kompliment auffassen.
    »Ich hab Feuer gemacht«, erklärte er ihr. Offenbar hatte es also doch funktioniert. Er hatte die Temperatur so weit verändern können, daß die hochempfindliche Sicherungsanlage ausgelöst worden war. »Sie haben den Alarm gehört?«
    »Nein, nein. Hier gibt’s keine Alarmanlage. Ich kam ganz zufällig vorbei und habe Sie drinnen gehört.«
    »Hab ich denn um Hilfe gerufen?« Arkadi konnte sich nicht erinnern.
    »Nein, gelacht.« Natascha verlagerte sein Gewicht auf ihren Schultern, um ihn

Weitere Kostenlose Bücher