Polar Star
Lieferung unter dem Ladentisch oder in einem Hinterzimmer, und da es Leute sind, denen ihr Stolz verbietet, minderwertiges Zeug mit großem Eifer an den Mann zu bringen, ist ihnen das ganze Geschäft zuwider.
»Versuch es doch bei ihr«, schlug Arkadi vor.
Ein Großmütterchen war mit einladendem Lächeln hinter den Ladentisch getreten. Sie trug einen Mohairpullover so weiß wie ein Polarfuchs, und ihr Haar schimmerte erstaunlicherweise silberblau. Neben ihr auf der Theke stand eine Schale mit Apfelsinenscheiben und Apfelstückchen und Crackers, die mit Pastete bestrichen waren. Vor der Kaffeemaschine lehnte ein Schildchen, auf dem in russisch »Kaffee« geschrieben stand. Eben traten zwei erfahrene Seeleute mit ihren Stereogeräten an die Kasse, und die alte Frau nahm freundlich ihr Geld entgegen. Eine große Tafel hinter ihr verkündete, wiederum auf russisch: »Dutch Harbor grüßt die Polar Star!« Kolja schien erleichtert, doch dann maß er Arkadi mit ängstlichem Blick. »Sag mal, was machst du eigentlich hier? Du hast doch gar nicht das richtige Visum!«
»Ich habe eine Sondererlaubnis.«
Arkadi hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, so unverhofft wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Sogar auf einem solide gebauten Fabrikschiff spürte man ständig die Schlinger- und Stampfbewegungen des Schiffskörpers, und nach zehn Monaten an Bord traute sein Körper dem ebenen, unbeweglichen Land nicht mehr so ganz. Ihm war, als würden die Leuchtstofflampen und die bunten Waren vor ihm her durch den Laden schwimmen.
»Erst hab ich gedacht, du dürftest nicht an Land, und jetzt bist du auf einmal doch da.«
»Ich bin selbst ziemlich durcheinander«, gab Arkadi zu.
Kolja hatte zwar noch einiges fragen wollen, doch da fiel sein Blick auf ein Regal mit Lowbias-Leerkassetten, die ihn offenbar magisch anzogen. Auch ein paar andere Männer von der Polar Star hatten Arkadi schon neugierig angestarrt, doch ihnen allen war die kurze Zeit in diesem Paradies zu kostbar, um sie mit Fragen zu vergeuden. Einer allerdings blieb am Ende eines Durchgangs wie angewurzelt stehen und glotzte ihn fassungslos an; es war Slesko, der Spitzel. Ein blitzender Goldzahn verlieh seinem aschfahlen Gesicht ein bißchen Farbe. In der Hand hielt er eine Schachtel mit elektrischen Lockenwicklern, ein Indiz dafür, daß es irgendwo eine Frau Sleskowa gab.
»Igitt!« Ein Maschinist schauderte, nachdem er einen Bissen von einem der Cracker gekostet hatte. »Aus was für Fleisch ist denn diese Pastete?«
»Erdnüsse«, sagte Israel. »Das ist Erdnußbutter.«
»Oh.« Zaghaft probierte der Maschinist noch einmal. »Gar nicht übel.«
»Renko, Sie kommen mir vor wie Lazarus«, sagte Israel. »Eben noch denkt man, Sie kratzen jede Minute ab, und schon tauchen Sie putzmunter wieder auf. Diese Untersuchung wegen Sina ist noch nicht vorbei, habe ich recht? Ihr entschlossener Blick nimmt mir da jede Hoffnung.«
»Arkadi, Sie sind also doch gekommen!« Natascha nahm seinen Arm, als ob er der verspätete Ehrengast auf einem Ball wäre.
»Das ist der beste Beweis dafür, daß Sie ein vertrauenswürdiger Staatsbürger sind. Sonst hätte man Sie nicht von Bord gelassen. Was hat Wolowoi dazu gesagt?«
»Ich kann’s selbst kaum erwarten, das zu hören«, antwortete Arkadi. »Was haben Sie denn bisher Schönes eingekauft?«
Sie wurde rot. In ihrem Netz lagen nur zwei Apfelsinen. »Textilien sind oben«, sagte sie. »Jeans, Jogginganzüge, Turnschuhe.«
»Bademäntel und Slipper«, fiel Madame Malsewa ein.
Guri hatte sich eine schwere Safariuhr umgeschnallt, in deren Armband ein Kompaß eingebaut war. Als er jetzt zur Kasse vorging, drehte er seinen Arm mal hierhin, mal dorthin, wie ein Mann, der mit sich allein tanzt. »»Apple?« Die Frau mit dem silberblauen Haar bot ihm eine Scheibe an.
»»Yamaha please.« Guri probierte stockend sein angelesenes Englisch. »Software, Programme, Leerdisketten.«
Ohne Geld fühlte Arkadi sich unter seinen Kameraden wie ein Voyeur. Während die beiden Frauen die Treppe hinaufeilten, zog er sich in entgegengesetzter Richtung zurück. Als er an der Lebensmittelabteilung vorbeikam, sah er dort Lidia Taratuta, die ihren Wagen mit Pulverkaffee vollstopfte. Zwei Mechaniker hatten sich ein Eis am Stiel geangelt; nun lehnten sie wie Betrunkene vor der Tiefkühltruhe, jeder sein Eis in der Hand. Wie hätten sie auch dieser Angebotsfülle widerstehen können? In der Sowjetunion beschränkte sich alle Reklame auf
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