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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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die Direktive: »Kauft …!« Der Verpackungsschmuck bestand entweder aus einem Stern, einer Flagge oder einer Fabriksilhouette. Amerikanische Verpackungen warben dagegen mit bunten, verlockenden Bildern, auf denen unerreichbar schöne Frauen und goldige Kinder »neue und verbesserte« Waren genossen. Lidia war unterdessen zu den Waschmitteln vorgedrungen und auf dem besten Wege, ihren Einkaufswagen bis an den Rand zu füllen.
    Auch Arkadi konnte am Obst- und Gemüsestand nicht einfach so vorbeigehen. Zugegeben, der Salat war in Zellophan verpackt und färbte sich an den Spitzen bereits braun, die Bananen hatten Altersflecke, und von den Weintrauben waren viele zerplatzt oder eingeschrumpelt, aber es waren die ersten frischen Früchte, die er zu Gesicht bekam, nachdem es vier Monate lang nur eingedickte Obstkonserven gegeben hatte, und so blieb er denn einen Augenblick andächtig davor stehen. Dann trat der einzige Mann der Polar Star, der den Verlockungen des Kapitalismus zu widerstehen vermochte, auf die Straße hinaus.
    Der weite, ungepflasterte Platz, der das Zentrum von Dutch Harbor bildete, lag im gedämpften Spätnachmittagslicht. Die einzigen Häuser am Platz waren der Laden und das Hotel gleich gegenüber. Beides waren Fertigbauten mit geriffelten Blechwänden, Schiebefenstern und so wunderlichen Proportionen, daß man hätte glauben können, die Untergeschosse seien irgendwann im Schlamm versunken und nicht wieder aufgetaucht. Eine Reihe kleinerer Häuser, ebenfalls in Fertigbauweise, lagen im Schutze eines Hügelkamms. Schiffscontainer und Kipper standen teils zum Verladen, teils zur Müllbeseitigung bereit, in einer Ecke stapelten sich ausrangierte Saugschläuche, wie sie zum Löschen von Fisch verwendet wurden. Und überall Schlamm, Schlamm und nochmals Schlamm. Die Straßen bestanden aus gefrorenen Schlammwellen, über die Laster und Lieferwagen wie Schiffe hinwegstampften, wenn sie den Platz überquerten. Alle Fahrzeuge waren mit einer Schlammkruste überzogen. Sämtliche von Menschenhand errichteten Bauten waren entweder erdbraun, ocker oder lohfarben, offenbar eine bewußte Kapitulation vor dem allgegenwärtigen Schmutz. Sogar der Schnee war schlammverschmiert, und doch hätte Arkadi sich am liebsten zu Boden geworfen, um sich in diesem kalten, harten Schlamm zu wälzen.
    Zehn, zwölf Russen standen vor dem Laden zusammen, sei es, weil sie den prickelnden Kaufakt noch hinauszögern wollten, sei es, weil schiere Aufregung sie genötigt hatte, eine Pause einzulegen und auf eine Zigarettenlänge ins Freie zu treten. Sie standen im Kreis, als fänden sie es sicherer, die Stadt über die Schulter eines Genossen hinweg zu betrachten.
    »Wißt ihr, es ist nicht anders als daheim«, sagte einer. »Das könnte hier ebensogut Sibirien sein.«
    »Wir bauen mit vorgefertigtem Beton«, hielt ihm ein anderer entgegen.
    »Darauf kommt’s doch nicht an. Ich meine bloß, es ist genauso, wie Wolowoi gesagt hat. Und ich wollte ihm nicht glauben.«
    »Ist das denn eine typisch amerikanische Stadt?« fragte ein dritter.
    »Jedenfalls sagt das der Erste Maat.«
    »Hab ich mir irgendwie ganz anders vorgestellt.«
    »Wir bauen mit Beton.«
    »Aber darum geht’s doch nicht.«
    Als er sich umwandte, sah Arkadi, daß drei Straßen von dem Platz abzweigten: Eine führte an der Bucht entlang zum Tanklager, die zweite zum Aleuten-Dorf am anderen Ende der Bucht und die dritte landeinwärts. Noch vom Schiff aus hatte er auf der Insel ein paar weiter entfernt liegende Ankerplätze entdeckt und auch einen kleinen Flughafen.
    Das Gespräch vor dem Laden wurde fortgesetzt. »Diese Berge von Lebensmittel und die vielen, vielen Radios. Glaubt ihr, das ist normal? Ich habe eine Dokumentation über die Vereinigten Staaten gesehen. Darin hieß es, ihre Geschäfte wären so voll mit Nahrungsmitteln, weil die Leute kein Geld hätten, sie zu kaufen.«
    »Das glaubst du doch selbst nicht!«
    »Aber wenn ich’s euch sage! Posner hat das im Fernsehen erzählt. Er mag die Amerikaner, und trotzdem hat er’s gesagt.«
    Arkadi fischte eine Belomor aus der Brusttasche, obwohl er fand, daß sie nicht hierher paßten. Über dem Laden waren im ersten Stock eine Bank und im zweiten ein paar Büros untergebracht. In der zunehmenden Dämmerung vermittelten die Lichter hinter den Fenstern eine Vorstellung von wohliger Wärme. Das Hotel gegenüber hatte kleinere Fenster, die auch nicht so hell erleuchtet waren, bis auf die blitzende Spiegelglasfront einer

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