Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
Vom Netzwerk:
nahm ihren Kopf in seine Hände, zog sie zu sich, küsste sie nochmals und sagte: „Und ich bin der Jacques.“
    Sie musste lachen und stieß mit ihrer Stirn an seine Schulter.
    „Und, wird es von jetzt an schwierig?“, fragte sie.
    „Muss es?“
    „Nein, eigentlich nicht, bis auf“, sie zog ihn zu sich und küsste ihn leidenschaftlich, ließ ihre Zunge in seinem Mund kreisen, fuhr mit der einen Hand unter seinen Mantel, suchte die Knöpfe seines Hemds, fuhr mit zwei Fingern dazwischen, strich ihm mit der anderen Hand durch die Haare und ließ sie seinen Hals entlangfahren, zog die Zunge langsam wieder zurück, löste ihre Lippen wieder von seinen, nur ganz knapp und schloss den angefangenen Satz, „das, das musst du noch lernen, aber das geht schnell, mein Lieber.“
    Breiter wich ein wenig zurück. „Wieso, kann ich es nicht genug?“, fragte er tonlos.
    „Du hast wohl noch nicht allzu viele Frauen geküsst?“
    Breiter errötete, hielt sie ein wenig weg von sich und sagte irritiert: „Küsse ich so schlecht?“
    Sie lächelte, küsste ihn noch einmal intensiv und hauchte: „Nein, du küsst wunderbar, aber deine Beine, deine Zunge, deine Ohren, deine Haare, deine Finger zittern, so, als ob etwas im Anzug ist, von dem man bisher nur zu träumen wagte. Du verrätst dich, Liebling, du hast keine Sicherheit und das beruhigt mich, da ich auch keine habe.“
    Breiter strich ihr eine Strähne hinters Haar.
    „Du sollst keine Sicherheit haben?“
    „Ja.“
    „Das glaube ich nicht. Nicht bei dir.“
    „Ist aber so.“
    „Warum?“
    „Warum wohl?“
    „Du, du hast doch so viel …“
    „Psst, es ist ganz einfach: Ich habe mich verliebt, jawohl, verliebt, ich lebe, darum.“
    Breiter lehnte sich zurück, wusste nicht was tun, kramte schließlich nach seinen Zigaretten, wollte sich eine anstecken, hielt inne, klaubte eine zweite hervor, zündete beide an und gab ihr eine. Er war froh, dass auf diese Weise ein wenig Abstand entstand, dass er sich ein wenig Zeit verschafft hatte, um nachzudenken, obwohl er genau wusste, dass er jetzt, gerade jetzt, sowieso nicht denken konnte. Zumindest nicht darüber, was er sagen sollte, was er tun müsste, was die richtige Antwort wäre.
    Sie war die Frau seines Chefs, des Direktors, mündliche und schriftliche Versicherungen hin oder her. Er konnte ihm jederzeit die Lebensgrundlage entziehen, ihn auf die Straße setzen, zu den verdreckten Bittstellern vor dem Hafenbüro und den Wiedergängern in den Suppenküchen. Und trotzdem: Sie beherrschte ihn. Er entstieg am Morgen seinem Bett und musste an sie denken. Er fuhr die staubigen Alleen entlang, rumpelte über die Pflastersteine in den Städten, folgte dem Scheinwerferlicht seines Wagens durch die Dunkelheit, kniff die Augen wegen der tiefstehenden Sonne, überholte klapprige Pferdegespanne, bremste für Kinder, Alte, Kühe, Hunde; und musste an sie denken. Goss Farbe in Kessel, mischte Substanzen, nahm Proben, hielt Reagenzgläser gegen das Licht, heizte mit dem Bunsenbrenner, färbte Stofffetzen; und musste an sie denken. So war es noch nie gewesen. So musste Verliebtsein sein. Bloß: Wie viel war es wert? Was war der Preis? Kostete es ihn Stelle und Stellung? Minderte es die Provision? Oder raubte es ihm einfach nur den Schlaf?
    „Mir raubt es den Schlaf“, kam es aus ihm heraus, ohne dass er diesen Satz sagen wollte.
    „Das ist doch schon was“, lachte sie.
    „Und jetzt?“, schaute er verdutzt.
    „Jetzt? Jetzt, jetzt küsse ich dich noch mal, dann habe ich Lust auf eine heiße Schokolade, dann muss ich wieder nach Hause, dann freue ich mich die ganze Zeit auf dich, dann treffen wir uns wieder und dann küssen wir uns wieder.“
    „Wann dann?“
    „Bald.“
    „Willy, das ist eine Frau, nein, das ist ein Weib, ein richtiges Weib, mit der ganzen Weiblichkeit, wenn du verstehst, was ich meine.“
    „Du bist nicht ganz dicht, das versteh ich. Küsst im Zoo die Frau eines der mächtigsten Männer der Stadt und denkst, alles sei Friede, Freude, Eierkuchen und du kämst ungeschoren davon. Mein Gott, wie naiv bist du eigentlich? Seid ihr alle so aus dem Toggenburg? Die Kurfürsten rauben euch wohl zünftig den Blick darauf, wie die Dinge wirklich sind.“
    „Ich traue ihr, ich traue ihm. Schließlich habe ich ihm alles zu verdanken. Meinst du, ich möchte je wieder zurück, dort, wo die Straßen mit Geißenbollen und Kuhmist bepflastert sind, wo die Menschen sich gegenseitig ständig zu Leide leben, weil der eine ein

Weitere Kostenlose Bücher