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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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– außer Willy – war zur Verhandlung gekommen. Die erste Nachricht, die er in der Untersuchungshaft erhalten hatte, war die Kündigung durch die Gugy AG. Eigenhändig von de Mijouter unterschrieben. Die zweite von Willy: Die meisten Anwälte der Stadt würden seinen Fall ablehnen und einen jüdischen zu nehmen, sei wohl keine gute Idee. So hatte er einen Pflichtverteidiger, der wenigstens darauf hinwies, dass es kein Strafbestand sei, einem Juden zu helfen. Eigentlich war ja alles unter Dach und Fach, die vierundzwanzig Kilo waren in der Schweiz, aber Mayer hatte ihm die drei Adressen nicht gebracht. Also bestand er auf einem weiteren Kilo. Mayer blieb nichts Anderes übrig als zu bezahlen, da Breiter schon alles vergraben hatte und ihm mit einer Anzeige drohte.
    Alles schien gut zu gehen, der deutsche Zollbeamte machte schon Anstalten ihn durchzuwinken, als er es sich im letzten Moment noch anders überlegte und ihn anwies zur Seite zu fahren.
    „Sie fahren ja immer hin und her, der Herr von der Gugy. Einmal müssen wir auch Sie kontrollieren. Was haben Sie denn dabei“, fragte der Beamte freundlich.
    „Farbe“, antwortete Breiter, „Farbe für die Fabriken im Wiesental, Farbe für die Reichsfahnen.“
    „Für die Reichsfahnen?“
    „Ja. Polarrot.“
    „Darf ich mal sehen?“
    „Man sieht nicht viel.“
    „Egal. Ich habe noch nie die Farbe unserer Fahne gesehen.“
    Breiter wurde nervös, stieg aus, öffnete die Hecktüren und nahm einen Kübel Erioanthracenreinblau, nahm einen Lappen Versuchsstoff und tröpfelte ein wenig darauf.
    „Das ist aber blau“, protestierte der Beamte.
    „Ja, ein schönes Blau, finden Sie nicht? Der Kübel mit dem Rot ist ganz hinten. Aber Sie können es sich doch vorstellen, oder?“
    Der Beamte schaute in den Laderaum des Wagens, der mit verschiedensten Kesseln gefüllt war, wollte sich schon zufrieden geben, bis er in der vordersten Reihe auf einem Behälter „Polarrot“ las. Breiter hatte aus Hast den Kessel mit dem letzten Goldbarren nicht, wie die anderen Male, ganz hinten im Laderaum verstaut.
    „Da ist er ja“, sagte der Beamte freudig, nahm den Kübel hoch, versuchte den Deckel zu öffnen, der klemmte, folglich riss er noch mehr daran, der Deckel gab plötzlich nach, durch den kräftigen Ruck schwappte das Polarrot über den Kesselrand und vor lauter Angst, sich die Uniform zu bekleckern, ließ er den Kübel fallen und sprang gleichzeitig einen Schritt zurück. Der Kessel fiel von der Ladefläche auf die Straße, und ein rotverschmiertes Stück Metall lag auf dem Boden. Der Zollbeamte nahm Breiter den Lappen aus der Hand, hob es auf, wischte es sauber und staunte nicht schlecht, als er einen Barren glänzendes Gold mit dem Prägestempel der Deutschen Reichsbank in den Händen hielt. „Ich glaube, Sie kommen jetzt gleich mal mit!“
    Willy schickte ihm regelmäßig Briefe und Pakete. Von geringem Nachrichten- aber hohem Nährwert. Vor allem in Sachen Nikotin.
    Von Charlotte hatte er ein einziges Mal einen Brief bekommen. Aus England. Das Einzige, was die Lagerzensur leserlich ließ, war, dass sie der Familie zuvorgekommen war, dass sie ihn liebe und …“
    „Post vom Feind. Sei froh, dass wir dir überhaupt so viel zum Lesen geben“, grinste der Dachauer Postmeister.
    Und irgendwann kam ein Brief von der Tochter der Witwe Hunziker. Seine Sachen seien im Kellerabteil. Sie wünsche die sofortige Leerung desselben nach seiner Rückkehr.
    „Jacques, Jacques, endlich.“ Breiter sah hoch, erblickte Willy, schnippte die Kippe, fiel ihm in die Arme, hielt ihn ganz fest und heulte hemmungslos.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich von ihm loslöste, Willy gab ihm sein Taschentuch und als sich Breiter ausgeschneuzt hatte, sagte Willy: „Komm, jetzt trinken wir erstmal ein Bier und essen etwas. Du bist eingeladen.“
    Es war das beste, das frischeste Bier, das würzigste Gulasch und der zarteste Kartoffelsalat, die er je in seinem Leben genossen hatte. Und als Abschluss ein Damassine; dieser edle Brand aus kleinen, süßen, blauschwarzen Pflaumen, die es nur im Jura gab.
    „Was hast du?“ Willy bemerkte, wie Breiter leicht zusammenzuckte, wenn jemand zu nahe hinter seinem Rücken vorbeiging.
    „Nichts. Was ist mit meinen Kässelis? Ich muss mich revanchieren.“
    „Du musst jetzt mal gar nichts. Ich habe sie geholt. Alles noch da. Die Hunziker hat gemerkt, dass ihr Ende naht. Sie hat mich geheißen, alles Wichtige zu holen.“
    „Die Hunziker war schon

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