Polarsturm
nickte stumm. Stenseth wandte sich ab und trat neben den Rudergänger.
»Volle Kraft voraus«, befahl er. »Ruder Backbord, gehen Sie auf Kurs null-eins-fünf.« Er wandte sich an den Ersten Offizier. »Stecken Sie einen Kurs zur letzten gemeldeten Position des Eislabors ab. Und holen Sie drei zusätzliche Ausguckposten auf die Brücke.«
Im nächsten Augenblick baute er sich hinter dem Funker auf.
»Verständigen Sie die kanadische und die amerikanische Küstenwache von dem Notruf und teilen Sie ihnen mit, dass wir darauf reagieren. Funken Sie alle Schiffe an, falls welche in der Nähe sind. Danach rufen Sie Gunn und Giordino auf die Brücke.«
»Sir, die Küstenwachstation befindet sich in Kanada, in Tuktoyaktuk. Das ist über zweihundert Meilen entfernt.«
Stenseth blickte auf den wirbelnden Schnee, der an die Brückenverglasung geweht wurde, und sah die Bewohner des Eiscamps vor seinem inneren Auge. »Ich nehme an, das heißt, dass der einzige Schutzengel, der sie retten kann, türkisfarbene Flügel hat.«
Die
Narwhal
hatte eine Höchstgeschwindigkeit von dreiundzwanzig Knoten, aber selbst bei voller Fahrt schaffte sie in dieser sturmgepeitschten See allenfalls zwölf Knoten. Zumal der Sturm jetzt seinen Höhepunkt erreichte und mit einer Windgeschwindigkeit von fast hundertzwanzig Stundenkilometern über sie hinwegfegte. Das Meer kochte und brodelte und warf über drei Meter hohe Wellen auf, in denen das Schiff wie ein Korken stampfte und rollte. Nervös überwachte der Rudergänger den Autopilot, war jederzeit darauf gefasst, dass das Gerät in Folge der ständigen Korrekturen, die nötig waren, um das Schiff auf Nordostkurs zu halten, ausfallen könnte.
Kurz darauf kamen Gunn und Giordino zu Stenseth auf die Brücke und lasen den Notruf des Eiscamps.
»Ein bisschen früh für einen derart verheerenden Eisbruch«, sagte Gunn und rieb sich das Kinn. »Das driftende Eis kann zwar binnen kurzer Zeit aufreißen, aber normalerweise wird man doch zumindest vorgewarnt.«
»Vielleicht wurden sie überrascht, als ein Teil des Lagers weggebrochen ist. Zum Beispiel ihre Funkanlage oder die Stromgeneratoren«, meinte Stenseth.
»Hoffen wir, dass es nichts Schlimmeres ist«, erwiderte Gunn und blickte in den Mahlstrom hinaus. »Wenn sie sich vor dem Sturm schützen können, sollten sie noch eine Weile durchhalten.«
»Es gibt noch eine andere Möglichkeit«, warf Giordino leise ein. »Vielleicht stand das Eiscamp zu nahe an der See. Durch die Wucht des Sturms könnte die Packeiskante abgerissen sein, woraufhin das Camp auseinandergebrochen ist.«
Die beiden anderen Männer nickten grimmig, wussten sie doch, dass die Überlebenschancen nur gering waren, wenn dies der Fall war.
»Wie sieht’s mit dem Sturm aus?«, fragte Gunn.
»Noch etwa sechs bis acht Stunden, ehe er nachlässt. Wir müssen abwarten, bis wir einen Suchtrupp auf dem Eis absetzen können, fürchte ich«, erwiderte Stenseth.
»Sir«, schaltete sich der Rudergänger ein, »wir sehen große Eisstücke im Wasser.«
Stenseth blickte auf und sah Backbord voraus einen hausgroßen Eisberg vorbeitreiben.
»Alle Maschinen ein Drittel zurück. Wie weit sind wir noch von dem Eiscamp entfernt?«
»Knapp achtzehn Meilen, Sir.«
Stenseth ging zu dem großen Radarsichtgerät und stellte das Radar auf einen Suchradius von zwanzig Meilen ein. Eine dünne Zackenlinie zog sich nahe dem oberen Rand über den Bildschirm. Der Kapitän deutete auf eine dicht darunter liegende Stelle, wo ein konzentrischer Kreis eine Entfernung von zwanzig Meilen anzeigte.
»Das ist die Position, die uns die Jungs vom Camp durchgegeben haben«, sagte er mit ernstem Tonfall.
»Wenn ihr Campingplatz nicht schon vorher nah am Wasser war, dann ist er’s jetzt auf jeden Fall«, stellte Giordino fest.
Blinzelnd musterte Gunn das Radarsichtgerät, dann deutete er auf einen verschwommenen Punkt am Rand des Bildschirms.
»Da ist ein Schiff in der Nähe«, sagte er.
Stenseth warf einen Blick darauf und sah, dass das Schiff in Richtung Südosten fuhr. Er befahl dem Funker, das Schiff anzupreien, aber er bekam keine Antwort.
»Vielleicht ein illegaler Walfänger«, meinte der Kapitän. »Ab und zu schleichen sich die Japaner in die Beaufortsee, um Belugawale zu jagen.«
»Bei diesem Seegang sind die wahrscheinlich zu sehr damit beschäftigt, sich festzuhalten, als dass sie ans Funkgerät gehen können«, sagte Giordino.
Das unbekannte Schiff war rasch vergessen, als sie sich dem
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