Polgara die Zauberin
Darion und ich packten unsere Siebensachen, und ich bezahlte einen vorbeikommenden Wagenbesitzer, damit er uns in die Stadt Sulturn in Zentralsendarien mitnahm.
Ich habe Sulturn sowieso stets gemocht. Es ist nicht so beengt wie Medalia oder Seline, und in den heißen Sommermonaten weht eine erfrischende Brise vom See herüber. Darion war zur Zeit unseres Umzugs etwa vierzehn, und ich gab ihn bei einem Möbeltischler in die Lehre. Er war ein kräftiger junger Mann, der zu der Hoffnung Anlaß gab, er werde ein Stückchen größer als seine unmittelbaren Vorfahren werden. Er würde zwar nicht so groß wie Stiernacken werden, aber damit konnte ich leben. Das Verstecken von Riesen kann zu einer Herausforderung werden. Darion brachte sein erstes Lehrjahr damit zu, Holznägel zu schnitzen. Der Handwerksmeister, zu dem ich ihn gegeben hatte, achtete streng auf Tradition und verabscheute eiserne Nägel aus tiefster Seele. Er glaubte fest daran, daß gute Möbel gezapft sein müßten, da Eisennägel sich unweigerlich mit der Zeit lockern und instabile Schränke eine Sünde wider die Götter seien.
Nach dem einen Jahr des Schnitzens durfte Darion dazu übergehen, die Rücken und Seitenteile jener freistehenden Wäscheschränke anzufertigen, die seinerzeit in Sendarien modern waren. Ein Schrank ist ein klobiges Möbelstück, aber er eröffnet ganz neue Wege in der Schlafzimmergestaltung, die ein in die Wand eingebauter Kleiderschrank nicht bieten kann.
Nach einer Reihe von Jahren ließ sich Darions Arbeitgeber – ich vermeide ganz bewußt den herkömmlichen Begriff ›Meister‹, da er in unserer Familie eine gänzlich andere Bedeutung besitzt – endlich erweichen und gestattete seinem Lehrling, die Vorderfront eines Schrankes zu fertigen. Der griesgrämige Geselle inspizierte das Ergebnis genauestens, wies auf einen kleinen Fehler in einem Formstück hin und ließ sich zu guter Letzt widerwillig zu der Feststellung hinreißen, daß mein Neffe nicht vollkommen unfähig sei.
Darions nächste Arbeit war ein Porzellanschränkchen, und so sehr der sauertöpfische Tischlermeister sich auch bemühte, er vermochte keinen Makel an dem Stück zu entdecken.
Inzwischen war Darion zwanzig, erledigte den Großteil der anfallenden Arbeit, und sein Lehrer trödelte damit herum, Vogelhäuschen und andere Kinkerlitzchen zu bauen. Die Einwohner von Sulturn wußten genau, wer in Wahrheit die schönen Möbel fertigte, die aus der Werkstatt kamen, und eine Reihe von ihnen deutete mir an, es sei doch nur klug, wenn Darion selbst ins Geschäft einstiege.
Ich hatte eine noch einfachere Antwort zur Hand. Ich ging zu Darions Arbeitgeber und kaufte ihn aus. Ich machte es ihm schmackhaft, seine letzten Jahre zusammen mit seinen Kindern und Enkeln auf einem Bauernhof am Südende des Sees zu verbringen.
»Woher hast du das ganze Geld, Tante Pol?« fragte Darion mich voller Neugier, als ich ihm berichtete, was ich getan hatte.
»Ich verfüge über gewisse Rücklagen, Liebes«, antwortete ich ausweichend. Geld war schon immer mein Problem – nicht der Mangel, sondern der Überfluß, daran. Über diese langen Jahrhunderte hinweg hatte ich stets mehrere hundert sendarische Goldnobel irgendwo hinterlegt. Dieses Geheimnis behielt ich weitgehend für mich, hauptsächlich deshalb, weil ein Handwerker härter arbeitet, wenn er nicht über den Schatz Bescheid weiß, der unter dem Herdstein oder in der Wand versteckt liegt. Ich wollte, daß diese jungen Männer restlos davon überzeugt waren, die alleinigen Ernährer ihrer Familie zu sein. Außerdem ist Sparsamkeit doch eine Tugend, nicht wahr?
Im Jahre 4413, als Darion ungefähr zweiundzwanzig war, begann er mit einem ausgesprochen hübschen sendarischen Mädchen namens Selana ›zu gehen‹. Jene lautlose Glocke, von der Mutter und ich gesprochen hatten, funktionierte noch so gut wie früher und hatte in meinem Kopf geläutet, als ich das hochgewachsene blonde Kind zum erstenmal gesehen hatte.
Darion und Selana heirateten zu Beginn des Frühjahrs 4414, und vor der Hochzeit gab Darion die Schreinerei vorübergehend auf und begann, an der Umgestaltung des Dachbodens über seiner Werkstatt zu arbeiten, den er in Wohnräume für uns umbauen wollte. Unser Mietvertrag über das ein wenig heruntergekommene Haus in Seenähe lief ohnehin aus, und der Bräutigam hielt es für angemessen, seine junge Frau über eine Schwelle zu tragen, die ihm tatsächlich gehörte. Es sind gewisse Nachteile damit verbunden, im selben Haus
Weitere Kostenlose Bücher