Polgara die Zauberin
aus Holz und Segeltuch, und keins von ihnen war auch nur ansatzweise gerade oder massiv. Sie sackten und kippten stets in alle Richtungen weg, doch das schien die Fallensteller und Goldsucher nicht zu stören, die von Zeit zu Zeit, wenn die Sehnsucht nach der Zivilisation sie überkam, ihre Wälder verließen. Mutter und ich flogen näher und ließen uns auf dem Sims eines unverglasten Fensters hoch oben in der Rückwand der Dorfschenke nieder.
»Ayallas Besitzer heißt Kablek, Pol«, ließ Mutter mich wissen. »Ihm gehört diese Schenke, und Ayalla ist so etwas wie der Aktivposten seines Geschäfts. Sie tanzt jede Nacht hier, und das lockt all die Kunden an. Sie macht Kablek reich. Er verwässert sein Bier so sehr, daß es schon gar nicht mehr schäumt und verlangt auch noch einen unerhörten Preis dafür.«
»Hört sich an, als sei er Tolnedrer.«
»Ja, so ähnlich – nur fehlt ihm der Schliff.«
Die Gesellschaft in Kableks Schenke war rauh, aber eine Reihe bulliger Kerle mit schweren Keulen gingen umher, um Ordnung zu schaffen. Sie beendeten die Messerstechereien, übersahen jedoch die meisten Faustkämpfe – vorausgesetzt, die Teilnehmer demolierten nicht die Einrichtung.
Kablek und seine Kellner verkauften bis gegen Mitte der Nacht Bier zu wahnwitzigen Preisen, und dann begannen die Gäste »Ayalla, Ayalla, Ayalla!« zu brüllen, mit den Füßen zu stampfen und mit den Fäusten auf die grob gezimmerten Tische zu hauen. Kablek ließ das ein paar Minuten so gehen, während er immer weiter Bier ausschenkte, was das Zeug hielt und dann stieg er auf die lange Theke an der Rückwand seines Etablissements und bellte: »Letzte Bestellung, meine Herren! Holt euch jetzt euer Bier! Während Ayallas Tanz schenken wir keines mehr aus.«
Dieser Ankündigung folgte ein Ansturm auf die Theke. Als Kablek dann sah, daß jeder einen vollen Humpen vor sich stehen hatte, gebot er mit erhobener Hand Schweigen. »Das ist der Rhythmus!« erklärte er und begann in seine schwieligen Hände zu klatschen – drei langsame Klatscher, gefolgt von vier Stakkatoklatschern. »Kommt mir ja nicht aus dem Takt, Männer! Ayalla mag das gar nicht, und sie ist sehr flink mit ihren Messern.«
Ihr Gelächter klang leicht nervös. Ein Künstler will immer sein Publikum fesseln – aber mit einem Messer?
Dann legte Ayalla einen gekonnt dramatischen Auftritt in der gut ausgeleuchteten Tür zum Hinterzimmer hin. Ich mußte zugeben, daß sie betörend schön war mit ihrem blauschwarzen Haar, den glitzernden schwarzen Augen und dem sinnlichen Mund. Theoretisch betrachtet war sie eine Sklavin, ein Stück Besitz, aber ihr herrisches Gebaren übertraf das eines jeden tolnedrischen Kaisers. Sklavin oder nicht, Ayalla gehörte im wahrsten Sinne des Wortes alles – und jeder –, worauf ihr Blick fiel. Ihr Kleid, wenn man etwas so Durchsichtiges ein Kleid nennen konnte, bestand aus blasser, hauchdünner malloreanischer Seide, die bei jeder Bewegung knisterte. Es ließ ihre Arme nackt bis zu den Schultern und endete unmittelbar über ihren weichen Lederstiefeln, aus denen die juwelenbesetzten Griffe ihrer Dolche ihre Zuschauer neckisch anfunkelten.
Das Publikum johlte, aber Ayalla wirkte eher gelangweilt. Ihre Miene änderte sich jedoch, als ihre Zuschauer den mitreißenden Rhythmus zu klatschen begannen. Ihr Gesicht nahm einen entschlossenen Ausdruck an, und die pure Kraft ihrer starken Persönlichkeit schlug die Zuschauer in ihren Bann. Ihr Tanz begann langsam, fast träge, aber dann wurden ihre Bewegungen schneller. Ihre Füße schienen fast über den Boden zu fliegen, als sie zu dem zündenden Rhythmus durch den Raum wirbelte.
»Ausatmen, Pol!« Mutters Stimme klang gepreßt. »Ich sehe schon schwarze Flecken vor unseren Augen!«
Mit aller Kraft atmete ich aus. Ich hatte unbewußt die Luft angehalten. Ayallas Darbietung hatte selbst mich gefesselt. »Sie ist recht begabt, nicht wahr?« untertrieb ich.
Ayalla wurde langsamer und ließ ihren Tanz mit einer unerhört sinnlichen Pose ausklingen, die jeden Mann im Raum herausforderte. Der Griff ihrer Hände um die Dolche, während sie sich anzubieten schien, ließ jedoch keinen Zweifel daran aufkommen, was sie mit demjenigen anstellen würde, der so töricht wäre, ihr ›Angebot‹ wahrzunehmen.
Gütige Götter! Das sah nach einer Menge Spaß aus!
»Nun, Pol?« fragte mich Mutter. »Glaubst du, das könntest du auch?«
»Es erfordert vielleicht ein bißchen Übung«, räumte ich ein, »aber nicht allzu
Weitere Kostenlose Bücher