Polifazios Vermächtnis (German Edition)
gelang es ihm, die Wurzel so weit anzuheben, dass der Kobold seinen kleinen Fuß alleine aus der tödlichen Schlinge ziehen konnte. Levicia beobachtete das Schauspiel vom Rastplatz aus. Sie konnte sich nicht erklären warum Himbi und Mugel einem fremden Wesen ohne zu zögern halfen. Schon die Tatsache, dass sie ihr damals geholfen hatte, brachte sie zum Nachdenken. Sollte es tatsächlich etwas Gutes in einem Wesen geben? Gab es etwas, was nicht nur dunkel und böse war, wie sie es immer gelernt hatte? Viele Fragen warfen sich in ihren Gedanken auf und es gab plötzlich vieles, über das sie nachdenken musste. Endlich hatten die beiden Freunde den kleinen Kobold aus der Wurzel befreit. Schließlich lies Himbi den Winzling los. Dieser kauerte sich sofort auf den Boden und verschränkte seine dürren Ärmchen vor seinem Kopf. Offenbar wartete er auf einen tödlichen Schlag, der sein Leben ein für allemal beenden würde. Doch es gab keinen Schlag. Nach einer geraumen Zeit, in der nichts passierte, blinzelte plötzlich ein kleines Auge durch die Arme hindurch. Endlich schien der Kobold zu begreifen, dass der Zwerg und der Troll ihm nur helfen wollten. Sie hatten offenbar keineswegs die Absicht, ihn umzubringen. Als der Kobold das merkte, nahm er seine Arme wieder herunter und richtete sich auf, als sei gar nichts geschehen. Gelassen klopfte er sich den Staub und die Erde aus seinen Kleidern. Dann sprach er etwas in einer, den beiden unbekannten Sprache. Da Himbi und Mugel die Sprache des Koboldes nicht verstanden zuckten sie bloß mit ihren Schultern. Der Kleine sprach immer weiter und weiter, gab dann jedoch nach einer Weile resigniert auf. Plötzlich griff er mit seiner winzigen Hand in seine rechte Jackentasche und holte etwas noch Kleineres heraus. Leicht zögerlich kam er auf Mugel zu und streckte seine, zu einer Faust geballte, Hand nach ihm aus. Mugel streckte ihm ebenfalls seine Hand entgegen. Der Kobold öffnete blitzschnell seine Hand, aus der etwas kaum Sichtbares in Mugels Handfläche fiel. Dann drehte er sich um und rannte wie ein geölter Blitz in den Wald, noch bevor die beiden auch nur ein Wort sagen konnten. Irritiert sah Mugel in seine Hand und entdeckte ein winziges Samenkorn darin.
„Ein Samenkorn? Was mag das bloß für eine Pflanze sein?“ fragte Mugel.
Himbi betrachtete das Korn. Vorsichtig strich er mit seinem Finger darüber. Es war kalt und glatt wie Eisen und die Oberfläche des Korns schimmerte gülden wie die Blätter des Waldes.
„Vielleicht das ein Samenkorn eines dieser Bäume hier. Wer weiß?“ sagte Himbi.
Mugel nahm ein weißes Taschentuch aus seinem Mantel, wickelte das Korn darin ein, und verstaute es anschließend wieder an seinem alten Platz. Dann gingen sie zurück zu ihrem Rastplatz. Levicia hatte bereits alles wieder zusammengepackt und wartete ungeduldig neben Bruno auf ihre Weggefährten.
„Das hat vielleicht gedauert! Jetzt aber los, die Zeit drängt!“ pflaumte sie die beiden an und trieb anschließend den Esel voran.
Mugel musste Himbi zurückhalten, der Levicia gerade gehörig die Meinung sagen wollte.
„Lass gut sein. Sie meint es bestimmt nicht so. Sie steht halt unter Stress!“ sagte er zu Himbi, dem die Worte im Halse stecken blieben.
Kopfschüttelnd trotteten sie hinter der Hexe und dem Esel her. Auf ihrem Weg sahen sie immer wieder die wunderlichsten Geschöpfe. Hier und dort huschten rosafarbene Kaninchen zwischen den Bäumen umher und einmal sahen sie in der Ferne sogar einen weißen Hirsch mit drei Köpfen.
„Dieser Wald steckt wirklich voller Wunder!“, stellte Himbi begeistert fest.
Aufgrund der vielen wunderbaren Dinge, die sie hier sahen, vergaßen sie schon bald wieder, was Levicia vorhin gesagt hatte. Die Stimmung geriet erst wieder ins Schwanken, als die Sonne langsam unterging und sie immer noch nicht den Cedaron erreicht hatten. Irgendwie kam ihnen alles in diesem Wald bei näherer Betrachtung gleich vor. Mugel hätte schwören können, einen ganz bestimmten Findling am Boden schon Dutzende von Malen gesehen zu haben.
„Irgendetwas stimmt hier nicht! Mir scheint es, als würden wir uns nicht vom Fleck bewegen!“ sagte Mugel als er es schließlich nicht mehr aushielt.
„ Ja, hier scheint wirklich etwas faul zu sein. Wir hätten den Fluss schon vor Stunden erreichen müssen.“ bestärkte Levicia Mugels Verdacht.
Trotz alledem blieb den drei nichts anderes übrig, als weiter Richtung
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