Polivka hat einen Traum (German Edition)
konnte, waren meine Hände gefesselt und mein Mund verklebt. Es ging so schnell, seine Bewegungen waren so methodisch, so gezielt, dass mir das kalte Grauen kommt, wenn ich daran denke. Es waren die Bewegungen einer Maschine … Hervé schob mich wortlos in die Zugtoilette und fixierte mich am Sitz. Er lächelte mich an. Er sagte: ‹Une fois n’est pas coutume›, was so viel heißt wie: Ausnahmsweise . Mehr zu sagen war nicht nötig, ich verstand ihn schon. Ich hatte Glück, überhaupt noch am Leben zu sein.
Dann ging er hinaus und versperrte die Tür. Und wenig später stoppte schlagartig der Zug. Was mittlerweile im Abteil geschehen war, konnte ich nur ahnen. Ahnen und befürchten.
So haben wir einander kennengelernt, Herr Polivka.»
11
«Rien de nouveau, madame. Patientez-vous encore, s’il vous plaît.»
«Sie sagt, es dauert noch.»
Aus blutunterlaufenen Augen starrt Polivka das grüne Duschhäubchen der Krankenschwester an. Ohne den Blick davon zu lassen, meint er zu Sophie Guillemain: «Dann sagen Sie ihr, dass ich noch vor dem Sonnenaufgang positive Nachrichten zu hören wünsche, andernfalls es diplomatische Verwicklungen geben wird. Der Patient ist Eigentum des Staates Österreich.»
«Pouvons-nous trouver quelque chose à manger ici?», wendet Sophie sich an die Schwester. «Cet homme est en train de mourir de faim.»
«Bien sûr, madame. Il y a un distributeur automatique dans le hall.»
«Merci, madame.»
«Und? Was hat sie gesagt?», knurrt Polivka, während die Schwester davoneilt.
«Dass die Ärzte ihr Bestes geben und der Eingriff so weit gut verlaufen ist. Und dass Monsieur Hollande, dem neuen Präsidenten, sehr viel an den guten Beziehungen zu Österreich liegt.»
«Das hat sie nicht wirklich, oder?»
«Kommen Sie, Herr Polivka, ich bin Ihnen ein Essen schuldig.»
Kurz darauf stehen die beiden vor dem Sandwich-Automaten im Foyer des Krankenhauses. Wie durch ein Wunder gibt es hier – neben solchen mit Schinken, Mozzarella und Tomaten – auch mit Coq au vin gefüllte Brötchen.
«Widerlich.» Sophie verzieht das Gesicht. «Eine Schande für die französische Küche.»
«Ich finde es gar nicht so schlecht», schmatzt Polivka. «Monsieur Hollande muss sich in dieser Hinsicht keine Sorgen machen. Jetzt noch eine Dusche, frische Kleider und einen kurierten Hammel.»
«Und den Code für die hier», sagt Sophie. Sie hält den Geigenkoffer hoch.
«Was glauben Sie denn eigentlich, darin zu finden? Warum hat dieses Arschloch – verzeihen Sie – warum hat Ihr Bruder …»
«Es gibt nichts zu verzeihen», unterbricht Sophie Guillemain. «Nach allem, was geschehen ist, kann ich ihn auch nicht mehr anders bezeichnen. Leider habe ich das zu spät erkannt.» Sie schnaubt verächtlich auf. «Dass dieses Arschloch etwas ganz Bestimmtes sucht, weiß ich seit der Beerdigung, seit seiner Bitte, ihm Jacques’ Haus zu öffnen. Ein Erinnerungsstück an den Verstorbenen? Mon œil! Schon eher etwas wie Notizen oder anderes Belastungsmaterial. Sein Einbruch heute Nachmittag hat das hinlänglich bestätigt.»
«Ja», nickt Polivka. «Auf Souvenirjagd ist er nicht gewesen. Aber wenn er, was auch immer, gleich gefunden hätte, wäre er nicht zurückgekommen.»
«Weil er nicht gewusst hat, wo er suchen soll: Jacques hat ihm das Geheimfach in der Geige offenbar nie gezeigt. Nach dem Begräbnis habe ich ja selbst das ganze Haus durchstöbert, aber die Vuillaume ist mir erst in der Zugtoilette wieder eingefallen. Ich schwöre Ihnen, falls Jacques irgendetwas von Belang versteckt hat, dann hier drinnen.» Sophie klappt kurzerhand den Koffer auf und nimmt das Instrument heraus.
«Und Sie kennen die Kombination nicht?»
«Leider nein.» Sie betrachtet die Geige, dreht planlos an einem der Wirbel. Ein leises metallisches Klicken ertönt. Sie dreht einen weiteren: Stille. «Das war es wohl nicht.»
«Wir werden es kaum schaffen ohne Code», meint Polivka.
«Natürlich werden wir es schaffen. Robert Langdon und Sophie Neveu sind nicht die Einzigen, die so was können.» Mit grimmiger Miene stemmt Sophie ihr rechtes Bein gegen den Sandwichautomaten, hebt das Instrument mit beiden Händen hoch und schmettert es auf ihren Oberschenkel nieder. «Voilà!»
«Wenn das kein abnormes Verhalten ist», sagt Polivka und blinzelt zu einer der Kameras, die an der Decke des Foyers befestigt sind. Sophie lacht auf. «Vielleicht kann man uns morgen schon im Internet bewundern. Aber jetzt schauen Sie doch … Da.»
Sie
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