Polivka hat einen Traum (German Edition)
Organ schnarrt trocken aus dem Hörer. «Ich hoffe, ich hab Sie nicht geweckt, am Montag um halb elf.»
Polivka ist aufgestanden, die Gedanken zucken fieberhaft durch seinen Kopf. Wenn Schröck einmal sarkastisch wird, herrscht Feuer auf dem Dach, das weiß er aus Erfahrung. Salutieren und kuschen hilft da gar nichts, nein, man muss den Alten auf dem falschen Fuß erwischen, just, wenn er den anderen hebt, um einem in den Arsch zu treten.
«Herr Oberst! Bin ich froh, dass Sie zurückrufen! Seit sieben Uhr früh versuch ich schon, Sie zu erreichen!»
Schweigen am anderen Ende. Polivka kann Schröcks senfgelbe Tränensäcke förmlich durch die Leitung zittern hören.
«Es ist etwas Schlimmes geschehen, Herr Oberst.»
Ein kurzer, hoher Laut dringt aus dem Hörer, der wie eine Mischung aus Seufzen und Auflachen klingt. «Etwas Schlimmes?», gibt Schröck zurück. «Vielleicht so etwas wie ein kollektives dienstliches Delirium mit unserem werten Hammel? Der ist nämlich auch nicht ins Büro gekommen; er geht nicht einmal ans Telefon.»
«Kein Wunder. Der Hammel liegt im Krankenhaus.»
«Wieso? Was ist passiert?»
«Ganz einfach, Herr Oberst. Ich bin Ihrer Weisung gefolgt, am Freitagabend noch.»
«Was soll das heißen, Weisung? Welche Weisung?»
«Na, dass ich mich nach einer neuen Frau umsehen soll.»
«Verdrehen Sie mir nicht die Worte. Ich hab nicht gesagt, Sie sollen sich umsehen , sondern nur, Sie sollen heiraten . Dazwischen liegen – rein statistisch – Welten.»
«Verzeihen Sie, Herr Oberst, aber das …»
«Sie langweilen mich schon wieder, Polivka. Jetzt kommen Sie zum Punkt, erzählen Sie schon.»
Polivka hat das Gässchen überquert, er steht jetzt vor der Nische auf der anderen Seite und betrachtet die kleine, pummelige Bronzefigur von Jeanneken Pis , die breitbeinig in einen Steintrog pinkelt.
«Es ist nämlich so», hebt er zu fabulieren an, «der Kollege Hammel hat eine Cousine dritten Grades, eine hübsche junge Witwe aus der Nähe von Paris.»
«Paris? Paris in Frankreich? Soll das heißen …»
«Ja, Herr Oberst. Wir sind übers Wochenende ins Ausland gefahren. Am Samstag jedenfalls, da brennt im Badezimmer von Sophie, so heißt sie nämlich, die Cousine, eine Birne durch. Der Hammel steigt also auf eine Leiter, um sie auszuwechseln. Energiesparlampe, voller Quecksilber, Sie wissen schon. Vor lauter Angst, dass er die Lampe fallen lassen könnt, verliert der Hammel da oben das Gleichgewicht und stürzt.»
«Ja, kennt der Trottel die Statistik nicht? Wir haben jedes Jahr rund dreißigtausend Haushaltsunfälle in Österreich!»
«Selbstverständlich, Herr Oberst. Aber wir waren ja in Frankreich …»
Wieder so ein seltsames Geräusch im Hörer, eine Art gepresstes Gackern: Schröck scheint tatsächlich zu kichern. «Wo Sie recht haben, haben Sie recht», sagt er nach einer Weile. «Weiter im Bericht.»
«Der Hammel purzelt also von der Leiter und fällt mit dem Kopf auf die Kloschüssel. Offener Schädelbruch …»
«Herrje …»
«Fünf Stunden war er im OP. Sein linkes Auge ist ruiniert, aber insgesamt hat er noch Glück gehabt: Er wird es überleben.»
«Sagen S’, Polivka, Sie schwindeln mich nicht etwa an?»
«Wie könnte ich? Sie werden ja sehen, dass der Hammel …»
«Nein, den Hammel glaub ich Ihnen, aber die Cousine? Könnt es vielleicht sein, dass Ihr kleiner Wochenendausflug etwas mit der Frau aus der Zugtoilette zu tun hat?»
Dieser alte Fuchs. Markiert tagein, tagaus die welke Mumie, nur um dann plötzlich wie ein quicklebendiger Vampir aus seinem Sarkophag hervorzuschießen.
«Frau? Ich weiß jetzt nicht … Ach so, Sie meinen die Französin, die vom Freitag! Ich bitt Sie, Herr Oberst, die Sache ist längst bei den Akten.»
«Das will ich auch hoffen. Also, Polivka, ich sag Ihnen, was wir jetzt machen. Sie sind, sagen wir, auf zehn Tage beurlaubt. Das wird ja hoffentlich reichen, um den rekonvaleszenten Hammel zurück nach Wien zu bringen und Ihre privaten Angelegenheiten zu regeln.»
«Private Angelegenheiten?»
«Heiraten. Diese Cousine. Aber nur, wenn die Madame mit Ihnen kommt und Sie mir nicht nach Frankreich auswandern. Ich brauch Sie nämlich hier in Wien, so ungern ich das sage. Überhaupt jetzt, wo der Hammel …»
«Ich versteh schon, Herr Oberst.»
«Gut. Und fangen S’ mir ja keine Fernbeziehung an. So etwas hält – proportional zum Mittelwert aus räumlicher Distanz und Güte der Verkehrsverbindung – selten länger als ein Jahr.»
«In
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