Polivka hat einen Traum (German Edition)
Nationalratsabgeordneter.»
«Ein umtriebiger Mann.»
«Sie sagen es. Ein regelrechter Held der Arbeit. Unsereins hat schon mit einem Job genug zu tun, wenn er ihn halbwegs ordentlich erledigen will. Im Ernst: Auch so eine Vermischung öffentlicher Ämter mit privaten finanziellen Interessen war in Österreich vor dreißig Jahren noch undenkbar. Mit nassen Fetzen hätt man solche Leute fortgejagt.»
«Tu felix Austria. Dann habt ihr euch jetzt endlich auch für die Europameisterschaften qualifiziert.»
«In stillen Wassern schwimmt der Abschaum immer oben.»
«Dafür bleibt der Bodensatz da, wo er hingehört. Und wo schwimmt dieser Stranzer jetzt?»
«In Brüssel. Nach den Nationalratswahlen im Jahr 2006 ist er aus dem Kabinett ausgeschieden, um mehr Zeit für seine wirtschaftlichen Unternehmungen zu haben. Bei der Europawahl 2009 stand er den Bürgerlichen aber dankenswerterweise wieder zur Verfügung, und seit damals sitzt er im Europaparlament.»
«Ganz oben also.»
«Wie man’s nimmt. In Österreich glauben die Leute, dass Brüssel so eine Art Gulag für innenpolitische Quertreiber ist, im besten Fall ein Abstellgleis für ausgebrannte Funktionäre. In den Medien kriegt man sie kaum noch zu Gesicht; sie sind weit weg und daher nicht mehr wichtig.»
«Stellen Sie sich erst vor, Sie leben in Bulgarien oder Lappland. Wahrscheinlich sind die Belgier die Einzigen, die dieses Phänomen nicht kennen … Also wissen Sie auch nicht, was dieser Stranzer hier so treibt?»
«Ich habe keine Ahnung.»
«Und der andere? Omar? Sagt Ihnen der Name etwas?»
«Nein, nicht das Geringste.»
«Lassen Sie uns einmal ganz in Ruhe überlegen: Dieser ominöse Omar hat also von Smart Security Solutions Leute angemietet, unter anderem meinen … unter anderem Hervé. Zumindest der, wahrscheinlich aber auch die anderen ziehen in Omars Auftrag los, um Menschen zu ermorden. Und zwar wahllos. Das ist vollkommen absurd!» Sophie ringt verzweifelt die Hände.
«Moment», meint Polivka beschwichtigend. «Wir wollten ganz in Ruhe überlegen. Was wir wissen, ist, dass Tilman Stranzer irgendwie mit diesem Omar unter einer Decke steckt und dass er ihm gleichzeitig untergeben ist. Die Hackordnung bei diesem Telefongespräch war offensichtlich, und es ist ja auch das Wort Befehlskette gefallen: Unten Gallagher, der vorgibt, keine Zeitungen zu lesen, weil er glaubt, auf diese Art Loyalität und Schweigsamkeit zu demonstrieren, in der Mitte Stranzer, der als Mittelsmann zwar besser informiert ist, diesen Umstand aber vorsichtshalber leugnet – in den niedrigeren Kadern ist es immer vorteilhaft, sich unwissend zu stellen.»
«Und ganz oben …»
«Omar», nickt Polivka. «Omar, der sich mit Gallaghers Leuten zufrieden zeigt, Omar, den Stranzer nicht unnötig stören will. Omar, der an SSS beteiligt ist und der sich Gallaghers diskrete Mitarbeit wahrscheinlich ein kleines Vermögen an steuerfreien Treueprämien kosten lässt.»
«Ein reicher und geheimnisvoller Rädelsführer namens Omar», murmelt Sophie, um dann – ein wenig zögernd – fortzufahren: «Lachen Sie mich jetzt nicht aus, Herr Polivka, aber … irgendwie klingt das in meinen Ohren nach einem Mittelding aus Superterrorist und Ölscheich. Heißt nicht einer von Osama bin Ladens Söhnen Omar?»
«Ja, ich glaube, schon …»
«Dann wäre es doch denkbar, dass es hier um eine islamistische Verschwörung geht.»
«Allah bewahre.» Polivka hebt abwehrend die Hände. «Trotzdem würde es mich wundern: Um in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, müsste er schon größere Ambitionen an den Tag legen. Ich meine, wenn den Alten für dreitausend Tote im World Trade Center siebzig Jungfrauen im Paradies erwarten, dann wäre der Junge mit seinen drei Morden gerade mal bei … null Komma null sieben angelangt. Und was, bitte, fängt man mit einem Siebenhundertstel Jungfrau an?»
«Was fängt man mit siebzig an?» Sophie zieht treuherzig die Augenbrauen hoch.
«Überhaupt bei den heutigen Mietpreisen», nickt Polivka. «Nein, Madame Guillemain, ich kann mir in der Sache keine religiösen Hintergründe vorstellen. Schon eher …» Polivka hält inne, stockt mit offenem Mund.
Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett , dudelt es aus der Seitentasche seines Jacketts. Von den Hauswänden der Impasse de la Fidelité zurückgeworfen, steigt die Melodie hoch in den wolkenlosen Himmel über Brüssel.
«Scheiße, das Präsidium.»
«Na, ausgeschlafen, Herr Kollege?» Oberst Schröcks
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