Polivka hat einen Traum (German Edition)
blöd genug sind, die Informationen auf dem Chip publik zu machen, wird Ihr Herr Kollege auch sein anderes Aug verlieren, Frau Guillemain ihr eigenes Leben und Sie Ihr Gebiss. Das ganze Gebiss wohlgemerkt, zuzüglich Unterkiefer. Dann heißt’s künftig mit dem Strohhalm essen.»
Neun, acht, sieben …, zählt Polivka. «Ich bin ohnehin auf Diät.»
Der Fürst lacht auf. «Ich mag Sie, Herr Bezirksinspektor. Sie sind lustig, und Sie haben etwas, das mir fremd ist, das ich aber durchaus respektiere …»
«Rückgrat?»
«Fanatismus. Selbstaufopferung. Man könnt Sie glatt mit einem Sprengstoffgürtel in die Chefetage der Weltbank schicken. Fragt sich nur, ob Sie für Ihre Überzeugungen auch Ihre Freunde opfern würden. Wäre das die sogenannte gute Sache , oder das, was Sie und andere Phantasten dafür halten, wirklich wert? Wollen Sie tatsächlich am Grab Ihrer hübschen Französin stehen, mit zerquetschtem Gesicht und zertrümmerten Knochen, neben sich den blinden Hammel? Überlegen S’ doch einmal, warum ich Ihnen heute überhaupt so viel verraten hab. Ganz einfach: weil mir nichts passieren kann. Ein paar Tage Untersuchungshaft, das ist Äußerste, bevor mich meine Rechtsanwälte und die Rechtsanwälte meiner Auftraggeber wieder aus der Zelle holen. Und nicht einmal, wenn ich bereit wär, Sie zu schonen, Herr Bezirksinspektor, wär ich dann noch in der Lage, irgendetwas zu verhindern. Ich bin schließlich auch nur eines der Rädchen im Getriebe, und die Mächte, die das Räderwerk am Laufen halten, sind nervös. Die können sich’s nicht leisten, penetrante kleine Miesmacher wie Sie gewähren zu lassen. Andererseits haben Sie mein Wort, dass dem Herrn Hammel, der Frau Guillemain und Ihnen nichts geschieht, wenn Sie mir jetzt die Speicherkarte geben – und natürlich Ihr Versprechen, Schweigen zu bewahren.»
Sechs, fünf, vier …
«Und jedes Ihrer Worte ist ein Ehrenwort, wie wir ja wissen», flüstert Polivka.
«So ist es.» Oppitz schaut auf seine Armbanduhr. «Ich warte. Aber nicht sehr lange. Wie gesagt, ich muss in Wien noch eine Rede halten.»
Drei, zwei, eins …
«Die Karte ist im Polizeipräsidium. Im Computer vom Inspektor Hammel.»
28
«Ja, Schatzi, ich weiß, du hast den Ehrenschutz. Ich mach mich eh gleich auf den Weg … Ja, sicher, Hofburg … Nein, ich bin beruflich unterwegs … Geh, bitte, Schatzi, was für Weiber? … Weil mich nur die Hasen interessieren, auf die man schießen kann, und davon abgesehen nur eine ganz besondere, unjagdbare Wildgans, nämlich meine schöne, wilde, adorable Frau Gemahlin und Ministerin.» Oppitz wendet sich, das Telefon ans Ohr gedrückt, zu Polivka. Er grinst, verdreht die Augen, nickt. «Natürlich, Schatzi, spätestens halb sieben. Du, ich hätt noch eine kurze Bitte: Könntest du vielleicht noch einmal mit der Herrengasse reden? … Nein, nicht mit dem Außenministerium, im Gegenteil … Genau … Ich weiß, du hast erst gestern … Sicher, das hat wunderbar geklappt, der kleine Psychopath ist schon beurlaubt. Aber diesmal geht es um was anderes: eine Winzigkeit, die ein Klient von mir im Polizeipräsidium vergessen hat. Und weil du dort kein Weisungsrecht hast … Leider nein, das kann nicht warten, bis ich … So ein Dings, ein Speicherchip … Um Gottes willen, nein, nichts Schlimmes, kein Beweismaterial, nur ein paar Urlaubsfotos, ganz private Sachen. Wär doch schad, wenn die verlorengehen … Ja, die sollen das Ding ganz einfach sicherstellen und mir dann später in die Hofburg bringen … Was? … Natürlich bin ich ihm was schuldig. Er kann jederzeit herauskommen nach Stadlwald; am nächsten Wochenende wär es gut, da gehen wir auf Fasane … Du, ich dank dir, Schatzi. Vielleicht können die mir kurz Bescheid geben, wenn sie die Speicherkarte haben … Oben im zweiten Stock, Gewaltverbrechen, im Büro eines gewissen Polivka … Genau, der Psychopath. Sie steckt dort im Computer …» Oppitz hat sich wieder umgedreht, er geht, in sein Gespräch vertieft, bergan, schlendert die Schindergasse hoch: ein harmloser Flaneur im Tanz der späten Sonnenstrahlen.
Polivka hat seinen Countdown unterbrochen, das Display in seinem Inneren steckt fest. Ein ungeklärter Zustand zwischen Eins und Null , ein nebelhaftes Quantenfeld, in dem einander Fassungslosigkeit und Panik, lähmende Entmutigung und wilde Mordlust überlagern. Dass er tut, was er nun tut, mag einem tief verborgenen Trotz geschuldet sein, dem Unmut des Entrechteten, Entwürdigten, der
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