Polivka hat einen Traum (German Edition)
geklärt.»
Polivka nickt. Zu einem ausführlichen Kommentar fehlt ihm schlichtweg die Kraft. Mit einem Satz wäre es nicht getan, er müsste einen stundenlangen Vortrag halten, müsste eine Analyse jener Strategien liefern, derer sich die Champions der Königsklasse des Verbrechens zu bedienen pflegen. Strategien der Schlupflöcher und Winkelzüge, der Erpressung und der Manipulation. Die Waffe dieser grauen Eminenzen ist der Mund, die eigentliche Drecksarbeit verrichten ihre Handlanger. Sie selbst vergiften keinen Brunnen, nur das Klima des Vertrauens und des Zusammenhalts. Sie selbst ermorden keinen Menschen, nur die Würde und die Menschlichkeit. Polivka könnte über die Legislative reden, die den Finten jener Großmeister der Schlechtigkeit stets zwanzig Schritte hinterherhinkt. Nicht zuletzt, weil sie es sind, die die Gesetzgebung diktieren. Polivka könnte, doch er kann es nicht. Er nickt nur, so wie Tag für Tag auch Milliarden anderer Verlierer nicken.
Fragend sieht Sophie ihn an. «Dann sind wir also fertig hier?»
«Nicht ganz», wirft Oppitz ein. «Wir warten noch auf einen kleinen, rein formellen Anruf, nur fürs Protokoll.» Ein joviales Lächeln. «Aber dazu reicht es, wenn der Herr Bezirksinspektor noch ein paar Minuten hierbleibt, deshalb tät ich vorschlagen, dass Sie uns jetzt verlassen, Frau Guillemain.»
«So machen wir’s», sagt Polivka. Er weiß zwar nicht, worauf der Fürst mit diesem Vorschlag abzielt, doch die Vorstellung, Sophie – zumindest bis auf weiteres – in Sicherheit zu wissen, muntert ihn ein wenig auf.
«Aber …»
«Nichts aber , Frau Guillemain. Falls irgendwelche Fragen offen bleiben, kann ich Sie auch morgen noch erreichen, oder übermorgen oder nächstes Jahr. Verlassen Sie sich drauf.» Die Blicke Omars streifen Polivka (eine kaum wahrnehmbare, aber eindringliche Drohung) und wandern dann zu Singh, der gerade einen Traktor auf der Hügelkuppe gegenüber observiert. «Am besten lassen Sie sich von der Polizei Geleitschutz geben. Nur, damit sich unser Herr Bezirksinspektor keine Sorgen machen muss.»
Das also ist der Grund. Der Fürst will den vermeintlichen Gendarmen loswerden, den unbequemen Doktor Singh, der da so gleichgültig und regungslos am Trottoir steht wie ein Telegraphenmast.
«Ja, Polizeischutz wäre gut», sagt Polivka. «Du kannst ja unserem Freund und Helfer dort erzählen, dass dir auf einmal furchtbar schlecht ist und er dich zum Arzt begleiten soll. »
«Ganz sicher nicht.» Sophie verschränkt die Arme vor der Brust und mustert ihn mit einer Mischung aus Beklommenheit und Groll. «Glaubst du, ich lass dich hier allein?»
«Ich komme nach. In zehn Minuten.» Zärtlich nimmt er ihre Hände, zieht sie an sich. Noch ein Blick in diese Bernsteinaugen, noch ein letzter Blick, denkt Polivka. Er weiß, es ist noch nicht vorbei, er kann es spüren, Fürst Oppitz hat noch etwas vor, und dieses Etwas ist nichts Gutes, nichts, das ihre Augen sehen sollten, diese Bernsteinaugen, die in den vergangenen Tagen mehr als nur genug gesehen haben.
«Geh jetzt. Geh.»
Er schaut ihr nach, als sie zu Singh tritt und ihn leise dazu überredet, seinen Posten zu verlassen. Singh hebt stirnrunzelnd den Kopf und späht zu Polivka. Er erntet ein bestätigendes Nicken.
Eine Frau und ein Gendarm. Eine Geliebte und ein Freund. Sie gehen die Landstraße entlang in Richtung Presshaus, ohne sich noch einmal umzudrehen, sie schrumpfen in der Ferne zu zwei Spielfiguren, klein, verschwommen, kaum noch zu erkennen, und verschwinden schließlich zwischen den Fassaden.
Zwei Minuten. Drei. Dann schallt ein munteres Halali aus Omars Hosentasche: Jagdhornklänge, reduziert auf das beschränkte Tonvolumen eines Smartphones.
«Ja?», kläfft Oppitz in den Hörer. Seine Miene nimmt den grimmig-strengen Ausdruck eines Patriarchen an, der seinen Söhnen Tischmanieren beibringt.
Das, denkt Polivka, kann nicht der avisierte Anruf aus dem Kommissariat sein. Hierarchie hin oder her, selbst einer subalternen Charge gegenüber ist ein Mindestmaß an Höflichkeit geboten, wenn sie schon belastende Indizien für einen auf die Seite räumt. Und wenn sie Oberst Schröck heißt.
«Bravo!», bellt der Fürst inzwischen. «Ist euch auch schon klargeworden, dass wir nicht in Poysdorf sind! … Nein, an der Einfahrt nach Herrnbaumgarten, kurz nach den ersten Häusern links.» Er wendet Polivka den Rücken zu und senkt die Stimme: Nur noch ein verschwommenes Gemurmel ist zu hören, der Inhalt
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