Polizei-Geschichten
Stadtgefängniß zu schleppen,
schallen in sein Ohr. Dem Handwerker wird das zuletzt zu
arg. Er stößt den Arm des Gensd’armen kräftig zurück und
setzt sich zur Wehr. Da zieht dieser denn seine Waffe, und
kaum hat der Handwerker Zeit, seinen Kopf mit dem Arm
zu schützen, so fallen auch schon rasch nacheinander zwei
scharfe Hiebe auf ihn herab. Der Arm ist ihm gestern ab-
genommen worden, aber der Oberarzt in der Klinik meinte
gleich, daß er die Amputation schwerlich überstehen würde,
und so wie ich ihn heute bei der Inspektion fand, wird er
allem Voraussehen nach den morgenden Tag nicht mehr
erleben. Vielleicht während wir sprechen, ist er todt.“ —
„Abscheulich! Entsetzlich!“ rief die Dame wieder. „Wer
ist da noch sicher, von einem Polizeidiener nicht im eignen
Hause umgebracht zu werden? Aber hoffentlich giebt es
noch Gerechtigkeit im Lande! Apropos, Herr Kriminalrath,
was wird wohl mit dem Gensd’armen geschehen?“ —
Der Kriminalrath hatte mit dem Löffel tiefsinnig den
Inhalt seiner Theetasse untersucht, indem er den zergehen-
den Zucker bald auf die Oberfläche brachte, bald wieder in
das Getränk versenkte. Jetzt erhob er halb das Haupt, und
sah über die Gläser seiner Brille zu der Fragenden auf.
„Wenig oder Nichts!“ antwortete er ruhig.
„Der Kriminalrath will damit nur sagen,“ nahm in dem
allgemein entstehenden Lärm ein junger Maler das Wort,
daß man höheren Orts den Amtseifer immer gern sieht,
und auch seine Uebertreibungen mit Rücksicht auf die ver-
anlassende Pflichttreue stets gnädig zu beurtheilen weiß.
Es ist ja bekannt, daß die uniformirten Helden des dreißig-
jährigen Friedens, wenn sie ihre Schutzwaffe gegen die be-
schirmten Unterthanen in Anwendung gebracht und PRO
FORMA ein Urtheil von einigen Monaten Festungshaft erhal-
ten haben, später desto sicherer auf Avancement rechnen
können. Auch weiß ich von einer ganz ähnlichen Polizeige-
schichte zu erzählen. In einer kurhessischen Stadt hatte ein
Polizeidiener einem betrunkenen Bauer das Rauchen auf
der Straße untersagt, dieser dagegen, dem ein solches Ver-
bot wahrscheinlich neu und willkührlich erschien, Gegen-
erörterungen gemacht. Der von Natur sehr jähzornige Be-
amte wurde durch den Widerstand und die vielleicht nicht
sehr höflichen Ausdrücke des betrunkenen Landmannes
bald in die größte Wuth versetzt, er zog seine Waffe vom
Leder, und richtete den wehrlosen Mann dergestalt zu, daß
derselbe nach einigen Tagen elend aus dem Leben schied.
Nach langer Untersuchung wurde der Polizeidiener zu an-
derthalbjähriger Gefängnißstrafe verurtheilt. Als er aber
seine Haft antreten sollte, erklärte die Polizeidirektion, daß
er einer der brauchbarsten Leute sei, den man vorläufig
nicht entbehren könne. Die Strafe wurde auch suspendirt,
und er hat sie bis auf den heutigen Tag noch nicht abgeses-
sen. Dafür wurde er jedoch einige Zeit später zum Polizei-
sergeanten erhoben, und erhielt die ausschließliche Bewa-
chung des gefangenen Professor Jordan, die er mit be-
sonderem Eifer geführt haben soll. Der Mensch heißt
Schmidt und lebt noch jetzt als Sergeant in Marburg.“ —
„Wenn ich sagte, daß dem Gensd’armen, der den Schnei-
der verwundete, wenig oder nichts geschehen würde, mein
junger Brausekopf,“ bemerkte der Kriminalrath, „so konnte
diese Antwort nur der Rechtsfrage gelten. Der Gensd’arme
hat einen in seinen Augen schuldigen Menschen verhaften
wollen, dieser ihm dagegen Widerstand geleistet und ihn
vielleicht auch gereizt; er ist daher im vollen Rechte, wenn
er von der Gewalt seiner Waffe Gebrauch macht.“ —
„Aber der Gensd’arme hatte ja in diesem Fall gar nicht
das Recht, den Handwerker zu verhaften!“ rief die Frau
vom Hause wieder. „Der Handwerker war ja gar nicht der
Schuldige!“ —
„Einerlei, meine Gnädige,“ sagte der Kriminalrath. „Er
ist in jedem Fall der administrativen Gewalt zu Gehorsam
verpflichtet. War er wirklich unschuldig, so konnte er desto
eher in der sichern Erwartung, alsbald wieder in Freiheit
gesetzt zu werden, dem Gensd’armen folgen.“ —
„Ja, nachdem er unter dem Jauchzen der versammelten
Menge verhaftet worden, hätte man ihn später ganz im
Stillen wieder freigelassen!“ warf der Arzt mit einem ge-
ringschätzigen Seitenblick ein. „Welche Satisfaktion wird
dem unschuldigen, rechtlichen Mann, dem durch die öf-
fentliche Verhaftung ein Brandmal
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