Polizei-Geschichten
und
augenscheinlich über sehr wichtige Gegenstände mit ihr.
Zuweilen schien es, als ob von einem drohenden Gespenst
der Zukunft die Rede wäre, denn Mathilde rang die Hände
und leise, nur halbunterdrückte Seufzer drangen aus ihrer
Brust; dann wieder schien die Alte Versprechungen und
lockende Aussichten für das Schicksal des Kindes auszuma-
len, Mathilde beugte sich mit einem schmerzlichen Lächeln
über die Wiege und bewegte die Lippen, wie in schwerem,
drückendem Traum. Die Alte ließ mit ihrer leisen Zuspra-
che nicht nach, und es mußte sich um einen entscheiden-
den Entschluß handeln, über welchen die junge Mutter aber
schwankend, mit steigender krampfhafter Erregung hin
und her kämpfte. Mehrmals hatte sie die Alte schon mit
heftigen Bewegungen von sich gewiesen, dann wieder hef-
tete sich ihr Auge mit wehmüthigem Ausdruck auf die
dunkle Wiege des Kindes. Zuletzt gab sie der Alten nickend
ein bejahendes Zeichen, und sank auf das Lager zurück, in-
dem sie wie verzweifelnd ihr Gesicht in die Kissen vergrub.
Nunmehr verließ die Alte mit einem triumphirenden
Wohlbehagen die Kammer. Nach Verlauf von einiger Zeit
kehrte sie zurück, in jeder Hand ein brennendes Licht hal-
tend. Hinter ihr folgte ein Mann, in einen Mantel gehüllt,
den sie alsdann mit Mathilden allein ließ.
Von dieser Zeit an war die Alte noch weit aufmerksamer
gegen das Mädchen, und behandelte sie fast mit Unterwür-
figkeit. Der Polizeikommissair ließ nichts von sich hören;
wie die Alte sagte, weil sie ihn herumgekriegt hätte. Daß
sie aber Mathilden als weggezogen abgemeldet, verschwieg
sie derselben. Bei alledem verdüsterte sich Mathildens
Sinn von Tag zu Tage, und vergebens suchte die Alte durch
theilnehmende Pflege für das Kind und Gefälligkeiten und
Zuvorkommenheiten aller Art ein Zeichen der Zufrieden-
heit oder nur beifälligen Gefühls zu entlocken. Sie schien
von Allem nichts zu bemerken und blieb verschlossen und
schweigsam in sich gekehrt. Sie widersetzte sich auch den
Zumuthungen der Alten nicht mehr, und wenn, wie es jetzt
öfter geschah, am Abend fremde Männer ins Haus kamen,
so gehorchte sie ihr mit kalter, stumpfer Gleichgültigkeit.
Fast schien es sogar, als ob selbst die Gefühle für das Kind
in ihr nachgelassen hätten. Sie selbst war es gewesen, die
zuerst vorgeschlagen hatte, die Wiege in das Gemach der
Alten zu setzen, und sie sah nur eben so oft danach, als
es durchaus nothwendig war. Sie vermied es beinahe, sich
demselben zu nähern, wenn sie es aber that, geschah es
mit einer Art zagender Scheu; Ihre Hand zitterte, indem
sie es aufnahm, sie liebkoste es nicht wie ehedem, und
ihr Auge haftete nur flüchtig und nie ohne eine schmerzli-
che Wallung auf ihm. Dazu begann ihr Aeußeres leise zu
verfallen. Die Alte, welche dies mit Besorgniß bemerkte,
suchte ihr auf plumpe, fast rohe Weise die zitternden Ge-
fühle ihrer zweifelnden Seele zu nehmen, aber Mathilde
wies sie mit gleichgültiger, resignirter Ruhe zurück. Ueber
ihr ganzes Wesen lagerte sich allmählig eine krankhafte,
tödtliche Erstarrung, unter der nur selten, wie das Leuch-
ten eines todten Vulkans, die schmerzliche, schneidende
Bewegung ihres Herzens hervorbrach.
So waren ungefähr sechs Wochen verflossen, als es ei-
nes Abends wieder an der Wohnung klingelte. Die Alte
öffnete und statt eines vielleicht erwarteten Andern trat
der Polizeikommissair herein. Bei diesem unerwarteten
Besuch entschlüpfte der Alten ein Laut des Schreckens,
den Mathilde drin im Zimmer vernahm, der Polizeibeamte
aber schob sie bei Seite und schritt rasch in das Gemach.
Mathilde hatte in der Ecke des Sopha’s gesessen, al-
lein, mit ihren düstern Gedanken beschäftigt, als sie der
Ausruf der Alten daraus weckte. Als sie jetzt emporblickte
und diesen Mann vor sich sah, dessen unheilverkündende
Nähe sie mehr noch fürchtete, als die bittere Selbstverach-
tung ihrer eignen Seele, da stiegen plötzlich wie drohende
Gespenster die Bilder ihrer muthmaßlichen Zukunft vor
ihren Augen auf. Sie haßte diesen Mann, sie hatte ihm oft
heimlich und glühend geflucht, wenn ihre Gedanken oder
Träume ihr denselben gezeigt hatten: denn von seinem
ersten Erscheinen schrieb sich ihr gegenwärtiges, tiefes
Elend her. Jetzt aber schwanden alle andern Gefühle, und
sie sah in ihm nur den Vorboten neuen Unheils für ihr ei-
genes und ihres Kindes Leben.
„Da sieht man also die saubere Wirthschaft!“
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