Polizei-Geschichten
Schilderhäuschen, in welchem er nach
jedesmaliger Runde sich aufhielt, mehrmals und immer
nur, wenn er eben drinnen stand, auf eine furchtbare
Weise gepoltert und gerüttelt worden sei, ohne daß er der
Ruhestörer habe habhaft werden können. Das letzte Mal
jedoch habe er drei Studenten davon laufen und in ein
bestimmtes Haus einkehren sehen, aus welchem dann in
der Nacht Niemand mehr herausgekommen sei. In Folge
dessen waren die drei, in jenem Hause wohnhaften Stu-
denten auf das Universitätsgericht citirt, und da sie ein
Alibi zur Zeit des Schabernacks nicht nachweisen konn-
ten, wegen ruhestörenden Lärmens in zweitägige Karzer-
strafe verurtheilt worden. Diese indeß hatten das Unglück
in der That gar nicht angerichtet und beschlossen daher,
sich an dem unvorsichtigen Nachtwächter gebührend zu
rächen. Mitten in der Nacht, als die Gassen öde und ruhig
lagen und der Nachtwächter aller Berechnung nach von
seiner Runde wieder zurück sein mußte, öffnete sich die
Hausthür und die drei Studenten mit noch einem vierten,
den sie ins Geheimniß gezogen, traten auf die Straße. Sie
trugen ein großes Bret, welches genau auf den Eingang
des Schilderhäuschens gepaßt war, und dessen vier Ecken
bereits Löcher zum Einschlagen von Nägeln enthielten.
Einige Schritte vor dem Stand des Nachtwächters mach-
ten sie Halt, und Einer untersuchte zuerst vorsichtig das
Terrain. Bald kehrte er mit der Botschaft zurück, daß der
Nachtwächter in seinem Wachthäuschen schlafe. Darauf
zogen sie leise heran, lehnten das Bret an den Eingang der
hölzernen Bude, und — eins, zwei, drei! — schlugen sie
mit ein paar Hammerschlägen die Nägel ein. Der Nacht-
wächter war eingenagelt und wurde trotz seines Polterns
und dumpfen Murrens erst am Morgen und nicht ohne
große Umstände von den Nachbarn erlöst. Die Studenten
aber hatten sich mit stolzer Genugthuung und ungefährdet
nach Hause begeben.
Mit dieser Erzählung hatte Eduard denn einen hefti-
gen Ausfall von Arthurs prinzipieller Kritik hervorgerufen.
Arthur ließ sich, wie gewöhnlich, weniger über den Vorfall
selbst aus, er betrachtete nicht den muthwilligen Streich,
sondern sprach mit großem Ernst über die Motive und ver-
dammte sie als Rachethat. Im Laufe des Gesprächs wurde
denn auch bald die eigentliche Sache vergessen, und Beide
führten nun den Streit über das Prinzip der persönlichen
Rache, wobei, wie wir gesehen haben, Arthur zuletzt auf
das konsequente Resultat kam, daß er nie, auch bei syste-
matisch fortgesetzter Unbill, dem Gekränkten die Rache
zugestehe.
Es schien aber fast, als wolle das Schicksal an ihm er-
proben, wie weit ein Prinzip Macht über die Menschenna-
tur ausüben könne, denn jenes Thema sollte verhängniß-
voll in sein Leben eingreifen.
Es hatten zu dieser Zeit eben die demagogischen Unter-
suchungen begonnen, und wie man weiß, kam dazumal
mancher angesehene, hochgeachtete Mann heute in poli-
zeilichen Geruch, der gestern noch in Amt und Würden
stand. Viele hatten gestern noch ihre Angehörigen unbe-
fangen und heiter verlassen, um sie erst nach Jahren er-
graut und morsch aus den Gefängnissen steigen zu sehen.
Auf ähnliche Weise wurde Arthur bald nach jener Un-
terredung durch einen Brief seiner Mutter furchtbar über-
rascht, die ihm tiefergriffen die Gefangennahme seines
Vaters mittheilte. Der junge Mann ordnete sogleich seine
Angelegenheiten und eilte in düstern Ahnungen nach
Hause. Hier fand er seine Mutter auf dem Krankenlager. Sie
war von Natur schon schwächlich und nervösen Anfällen
unterworfen gewesen, und die Aerzte waren in letzter Zeit
mehrmals für ihr Leben besorgt; jetzt hatte die Gemüths-
bewegung bei ihres Gatten Schicksal sie niedergeworfen
und ein schleichendes Fieber untergrub ihr Dasein. Arthur
widmete ihrer Pflege seine ganze Aufmerksamkeit, aber
er konnte doch den geknickten Lebenstrieb nicht wieder
aufrichten. Die Kranke wurde allmählig immer hinfälliger
und schwächer und fühlte zuletzt selbst ihre Auflösung
nahen. Da richteten sich denn ihre letzten Gedanken und
Kräfte mit der ganzen glühenden Sehnsucht einer schmerz-
lich scheidenden Seele auf den Mann, an dessen Seite ihre
flüchtige Lebensblüthe gerankt hatte. Sie rang in verzwei-
felnder Anstrengung mit dem Weh eines qualvollen Schei-
dend und ihr brechendes Herz wollte sich wenigstens in
einem Abschied noch von dem, der ihr Schutz und Stütze
gewesen,
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