Polt.
Sonnenreflex bemerkte. Er trat näher, ohne den Weingarten zu betreten, und sah eine zerbrochene Weinflasche, die halb in der Erde verborgen war. Nicht sehr aufregend, überlegte Polt. Mit dem Mord konnte sie eigentlich nichts zu tun haben, sonst wäre sie bei der aufwändigen Spurensicherung bestimmt gefunden worden. Aber der gewesene Gendarm hütete sich dennoch davor, die Flasche zu berühren, und machte sich unverzüglich auf den Weg. Vielleicht war Norbert Sailer zu Hause anzutreffen. Polt läutete, klopfte an die Tür, klopfte am Küchenfenster - nichts geschah. Dann sah er endlich Sailer aus der Tür treten. Er hatte sich offenbar hastig angezogen. Polt glaubte im Gesicht seines Freundes eine merkwürdige Mischung aus Zorn und schlechtem Gewissen zu erkennen. Sailer fuhr mit der Hand über das kurz geschnittene Haar. »Simon, du bist es! Entschuldige die Wartezeit: kleine Diskussion mit der Birgit… kommt in den besten Familien vor. Also, was gibt’s?«
»Du hast dein Presshaus nicht zugesperrt.«
»Au verdammt. Und das passiert einem ordentlichen Menschen wie mir. Aber ich hab’s eilig gehabt, heute in aller Früh. Der Boden im Weingarten g’hört gelüftet, noch bevor die Vegetation kommt.«
»Du, Norbert, noch was: Ich hab zwischen den Rebstöcken eine zerbrochene Weinflasche liegen gesehen.«
»Was du nicht sagst! Das schaun wir uns an!«
Bald darauf standen die beiden auf dem Güterweg hinter Sailers Presshaus. Der Weinbauer legt Polt die Hand auf den Arm. »Stehenbleiben! Ich hab zwar mit dem Traktor vermutlich die letzten Spuren beseitigt, aber wir wollen nicht zur Verwirrung beitragen. Also, die Flasche muss jemand vor Kurzem hier weggeworfen haben, so etwas wäre den Leuten des Kollegen Primi nicht entgangen.«
»Genau das hab ich mir auch gedacht. Aber jetzt, wo ich mir das so anschau: Die Flasche steckt ja ziemlich tief drin. Vielleicht war sie vergraben und du hast sie freigelegt bei der Arbeit?«
»Nicht gänzlich auszuschließen. Oder es war umgekehrt und ich hab sie halb zugeschüttet.«
»Was tun wir jetzt, Norbert?«
»Was zu tun ist in so einem Fall. Ich melde den Fund an die Kollegen in Breitenfeld, und zwar jetzt gleich.«
»Ah, da ist er ja, der Simon!« Frau Habesam hatte ihren Rollstuhl unter der großen Wanduhr in Stellung gebracht. »Kaum ist man einmal großzügig und besucht seinen Mitarbeiter zu Hause, glaubt er, dass er sich alles herausnehmen kann. Oder war der Besuch von der Karin Walter so anstrengend, dass er nicht aus den Federn gekommen ist, der Simon?«
»Das wissen Sie auch schon?«
»Wofür hältst mich denn, für blind oder für blöd?«
»Für keins von beiden, Frau Aloisia. Ich hab durch Zufall was im Weingarten vom Norbert Sailer gefunden - davon hab ich ihn noch schnell verständigen müssen.«
»Also gut, bewilligt. Worum handelt es sich?«
»Die Polizei weiß Bescheid, und das reicht fürs Erste.«
»Frech auch noch, die jungen Leut!«
»Ich war gern jünger.«
»Wer nicht. Und jetzt komm in die Küche. Die Kipferln von gestern müssen weg.«
Frau Habesam schaute nachdenklich in ihre Tasse und brachte den Rest Kaffee in eine kreisende Bewegung. Dann schlürfte sie vernehmlich. »Der weckt Tote auf, Simon!«
»Sehr tot dürfen s’ aber nicht sein, Frau Aloisia!«
»Spitzbübisch heute, gelt? Da, schau dir das Häferl einmal an, mein Guter. Eine Kostbarkeit! Hat mir der Sepp Räuschl dereinst zum Geschenk gemacht. Sehr sinnig, der Spruch drauf: Behüt dich Gott / es war so schön gewesen / behüt dich Gott /es hat nicht sollen sein.
»Aber wie kommt der Räuschl darauf?«
»Na, wie schon, Simon! Ich war ja auch einmal jung und schön. Schön war der Sepp zwar nie, aber wenigstens jung. Hat er’s halt probiert bei mir, mehr oder weniger erfolgreich.«
»Da schau her! War’s mehr mehr oder mehr weniger?«
»Das überlass ich deiner schmutzigen Phantasie. Ah, Telefon! Muss das sein?« Sie nahm den Hörer ab. »Ob der Herr Polt bei mir ist, wollen Sie wissen? Dürft ich vorher erfahren, wer spricht? Also gut, Herr Primi. Er ist da. Schwerhörig bin ich übrigens nicht. Wollen Sie ihn sprechen, den Simon? Nein? Warum rufen S’ dann an? Wie? Was? Morgen um 10 geht nicht. Er arbeitet bis Mittag bei mir. Schrein S’ nicht so, Sie Lümmel. Also gut, geb ich ihm halt Urlaub.« Sie hielt den Hörer mit der Hand zu. »So ein giftiger Mensch, so ein hantiger! Morgen um zehn in Breitenfeld, Simon?«
Polt nickte.
Flaschenpost
Der Autobus
Weitere Kostenlose Bücher