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Poltergeist

Titel: Poltergeist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Richardson
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Grunde sind die meisten Geister ja genau das. Also müssen diese Erinnerungen isolierte Zeitkapseln darstellen. Das Grau besteht wahrscheinlich aus vielen Zeitebenen, die wie Papier aufeinandergeschichtet sind. Du müsstest wie eine Archäologin vorgehen und dich in die Zeit hineingraben. Da und dort werden dann Schichten zum Vorschein kommen, wobei sie sicher meist fragmentarisch bleiben. Im Grau ist die Zeit nicht wirklich zusammenhängend.«
    »Das würde auch erklären, warum ich manchmal das Gefühl habe, dass zu viel oder zu wenig Zeit vergangen ist, wenn ich mich im Grau aufhalte.«

    »Ja, das könnte eine Erklärung dafür sein«, meinte Mara. »Es würde dir auch eine weitere Möglichkeit eröffnen, dich durch das Grau zu bewegen – indem du dich in die Schichten gräbst.«
    »Das verstehe ich immer noch nicht«, sagte ich und schüttelte verwirrt den Kopf.
    »Weder Zeit noch Raum sind im Grau so wie hier in unserer normalen Welt. Das können sie auch gar nicht sein«, erklärte sie. »Wenn sich ein kleines Stück Vergangenheit in der Gegenwart in Form einer Geister-Erinnerung zeigen kann, dann ist es doch ziemlich wahrscheinlich, dass du auch zu einem anderen Stück Zeit vordringen kannst, wenn du nur ein wenig gräbst.«
    »Ich glaube, dass wir deshalb den Eindruck bekommen, Geister könnten durch Wände gehen«, warf Ben ein.
    »Und wie genau?«, fragte ich.
    »Indem sie sich auf der Ebene der Zeitfragmente im Grau bewegen. Das Gespenst existiert auf seiner eigenen Zeitebene. Wenn es den Anschein hat, als ob es durch eine Wand gehen würde, bewegt es sich in Wahrheit nur durch eine Öffnung, die zu seiner Zeit an dieser Stelle existiert hat. Das Gebäude wurde umgebaut oder der Raum hat sich im Grau verschoben, aber auf der Zeitebene oder im Zeitstück des Geistes gibt es kein Hindernis, sodass er einfach hindurchgeht. Du bewegst dich auch wie ein Geist, wenn du im Grau bist. Wenn du also zu einer Zeitschicht vordringst, wo es keine Barriere gibt, dann kannst du auch einfach hindurch.«
    »Aber ich stamme doch nicht aus dieser Zeitebene.«
    »Ich glaube, das ist in deinem Fall egal.«
    »Dann könnte ich mich also bis in die Zeit der Duwamish zurückgraben und mich in ihren ehemaligen Siedlungen umsehen. Oder verstehe ich euch da falsch?«

    »Nein, ganz so funktioniert das nicht«, widersprach Mara. »Du kannst nur das erreichen, was vorhanden ist. Es ist keine feste Ebene. Es handelt sich um Fragmente und Scheiben, die ineinander verwoben sind. Es sind Erinnerungen. Wenn es an dem Ort, an dem du dich gerade aufhältst, keine Erinnerung oder kein Ereignis gibt, das stark genug ist, um zu überleben, dann kannst du auch nirgends eindringen. Vielleicht musst du dich sogar eine Weile im Grau bewegen, bis du das richtige Stück Zeit gefunden hast. Möglicherweise musst du sogar aus dem Grau auftauchen, um dich hier draußen an einen Ort zu begeben, wo das Grau weniger vergesslich ist.«
    Ich rieb mir das Kinn. »Es fällt mir ziemlich schwer, das alles zu verarbeiten.«
    »Warum versuchst du es dann nicht gleich ganz praktisch?«, schlug Mara vor.
    Das tat ich auch. Ich tauchte in die veränderte Welt des Grau ein und sah mich nach den Zeitfragmenten um, von denen Ben und Mara gesprochen hatten. Hier und da entdeckte ich kleine Blitze, als ob ein Sonnenstrahl auf ein Stück Glas fallen würde, aber die schiebenden Bewegungen des Grau ließen mich schwindlig werden. Jedes Mal, wenn ich wieder auftauchte, befand sich Albert ganz in meiner Nähe, wenn er auch eine gewisse respektvolle Distanz wahrte. Er musterte mich durch seine Nickelbrille, als ob ich etwas wahrhaft Schockierendes tun würde. Nach etwa zwanzig Minuten – so viel Zeit war jedenfalls laut meiner Uhr vergangen – war ich ziemlich gereizt, da ich es nur bis zur Wohnzimmertür geschafft hatte. Es kam mir so vor, als hätte ich mehrere Stunden im Grau zugebracht.
    Resigniert hob ich die Hände. »Ich gebe auf.«
    »Nein, noch nicht«, widersprachen die Danzigers.

    »Doch. Nicht für immer, aber für den Moment tut mir mein Kopf schrecklich weh. Dieses ständige Schieben und Biegen im Grau ist sehr anstrengend. Ich habe das Gefühl, stundenlang die Hauptrolle im Schwanensee getanzt zu haben – und zwar mit Springerstiefeln. Vermutlich fühlt ihr euch so, wenn ihr einen ganzen Tag lang mit Brian in seiner Nashorn-Laune verbracht habt.«
    »Verstehe«, sagte Ben und fuhr sich durch seine schwarzen Locken, die daraufhin wieder wild in die Höhe

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