Poltergeist
verletzte Knie und die geprellte Schulter pochten. »Ich wurde angefahren«, improvisierte ich. Schließlich hatte ich nicht vor, ihm von einem künstlichen Poltergeist zu erzählen.
Seine Miene verwandelte sich mit einem Schlag. Er sah mich entsetzt an. »Oh mein Gott! Wollen Sie sich nicht setzen?«
»Nein, ist schon in Ordnung. Bringen Sie mich einfach nur hinaus.«
Er führte mich bis in die Säulenhalle des Einkaufszentrums. Als ich auf die Pine Street hinaustrat, sah ich, wie ein schmutziger Mann mit einem handgeschriebenen Schild
den Verkehr zu regeln versuchte, um so die Autofahrer auf sich aufmerksam zu machen. An einer Ecke spielten zwei Leute Jazz auf einer elektronischen Geige und einem Saxophon, während ihnen eine grinsende Bulldogge gespannt lauschte.
ACHTUNDZWANZIG
I ch sah ziemlich lädiert aus, als ich endlich in ein Taxi stieg. Es überraschte mich, dass der Fahrer mich überhaupt mitnahm, denn ich stank, als ob ich in eine Kloake gefallen wäre. Als er mich absetzte, fühlte ich mich deshalb verpflichtet, ihm ein besonders großes Trinkgeld zu geben. Dadurch achtete ich auch nicht auf das Chaos, das um den Harvard Exit herum herrschte. Eine Traube von Menschen hatte sich versammelt. Polizei, ein Krankenwagen und die Schaulustigen umringten das alte Theatergebäude.
Ich stieg an der Ecke des jetzigen Kinos aus und hielt dabei die Destillierblase fest in der Hand. Auf einmal hielt mich ein Polizist am Ellenbogen fest. Das Taxi war bereits weitergefahren.
»Miss Blaine, kommen Sie bitte mit.«
Ich zuckte mit den Achseln, schnitt eine Grimasse und humpelte dem Polizisten hinterher.
Er führte mich durch die Absperrung in die Lobby des Kinos. Solis stand mit dem Rücken zu mir vor dem offenen Kamin. Ana saß in einem der Sessel und hatte die Schultern hochgezogen. Sie wirkte abweisend und seltsam erstarrt. Ken stand hinter ihr. Seine Hände ruhten auf ihren Schultern, und er sah Solis mit einer widerwilligen, wenn auch panischen Miene an. Sein Schild im Grau war wieder präsent,
wohl um die Welt, die um ihn herum in Trümmern lag, auszusperren. Hinter ihnen lungerten einige Polizisten in Zivil herum.
Mein Begleiter blieb ein paar Meter vor der Gruppe stehen. Hier befand ich mich noch in Hörweite. Er nickte dem Polizisten in Zivil, der uns entgegensah, kurz zu. Ich konnte Solis’ angespannte, leise Stimme deutlich hören. »… sehr gefährlich. Diesmal können Sie sich nicht mehr weigern, mit uns zusammenzuarbeiten, Mr. George. Seien Sie nicht wieder so dumm. Dann werden wir es auch nicht sein.«
Ken biss sich auf die Lippe und nickte.
»Gut. Kommissar McBride wird jetzt Miss Choi nach Hause begleiten. Sie können alle gehen.«
Die Gruppe marschierte an mir vorbei. Ken hatte seinen Arm um Ana gelegt und warf mir einen fragenden Blick zu. Zwischen seinen Brauen zeigte sich eine tiefe Falte. Er wollte offenbar etwas sagen, überlegte es sich dann aber doch anders und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Ana zu. Sie hielt den Kopf gesenkt und schien zutiefst erschöpft zu sein.
Ich sah ihnen hinterher, als sie das Kino verließen. Dann wandte ich mich an Solis, der mich wütend anstarrte.
»Was ist passiert?«, fragte er.
»Ich bin in die Kanalisation gefallen.«
»Wie das?«
»Ich habe keine Ahnung.« Das stimmte sogar. Eine genauere Erklärung hätte ihn außerdem nur noch mehr verärgert. »Und wie haben Sie es geschafft, so schnell hier zu sein?«
Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen, und er legte den Kopf ein wenig zur Seite, um mich zu mustern.
»Lassen Sie mich raten«, schlug ich vor. »Sie haben Ana
verwanzt und sie mit den Schlüsseln hierher geschickt, um zu sehen, ob Ian Markine darauf hereinfällt.«
Der Anflug eines selbstzufriedenen Lächelns spielte um seine Lippen. »Miss Leaman hat die Schlüssel erkannt.« Seine Miene wurde wieder finster. »Aber Sie haben mich überrascht – Sie und Mr. George. Wir waren noch nicht so weit, eine Verhaftung vorzunehmen. Sie haben uns hereingelegt. Warum sind Sie hierher gekommen?«
Jetzt war mir klar, warum mir so viele Gesichter in der Lobby bekannt vorgekommen waren. Es waren keine Kinobesucher, sondern Polizisten gewesen! »Ich wollte Ian einige Fragen stellen. Bei der Beerdigung gab es dazu keine Möglichkeit.«
»Was wollten Sie denn von ihm wissen?«
Jetzt hieß es rasch etwas erfinden. Mir fielen die alten Requisiten im Speicher ein. »Ich wollte etwas über die falschen Erscheinungen bei den Experimenten wissen. Dort
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