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PolyPlay

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Titel: PolyPlay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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der Fahrbereitschaft des Präsidiums abgeholt. Der Vopo-Mercedes glänzte wie neu, und der Fahrer hielt Pasulke und Kramer die Türen auf. Sein Verhalten wirkte, als sei es ihm kürzlich antrainiert worden. Der Weg durch Köln war noch mühsamer als der durch Berlin. In Westdeutschland gehörte ein eigenes Auto wohl noch mehr dazu als im Osten. Kramer war erst einmal im Westen gewesen, kurz nach der Wende. Das Gemisch aus übertriebener Hoffnung und kleinlicher Besitzangst, dieser offensichtliche Wunsch, sich den Pelz zu waschen, ohne nass zu werden, die Gier nach Müller-Lohmann-Energie bei gleichzeitigem Hass auf alle Roten, das alles hatte ihm nicht gefallen. Er fand das Vorurteil seiner Landsleute im Osten fast bestätigt: Diesen Wessis musste man bloß ein paar kubanische Bananen hinhalten, und sie tanzten den Sozialismus. Ihm schien der Verdacht berechtigt, dass ein höheres Gebot von anderer Seite mit der gleichen falschen Loyalität und Unterwürfigkeit belohnt werden würde.
    Als er jetzt im Fond eines bequemen Wagens durch Köln rollte und über seine damaligen Gefühle nachdachte, fand er sie fragwürdig: Erst kommt das Fressen, dann die Moral, hatte Brecht gesagt. Die Westdeutschen hatten nichts mehr zu fressen gehabt und die Moral der Sieger in der Systemkonkurrenz angenommen. Wer wollte es ihnen verübeln? Seinen Standpunkt hätte man auch als einen Luxusstandpunkt begreifen können: Er hatte in einer gesicherten Position in der DDR gelebt, während im Westen 1987 die Lichter ausgegangen waren. Woher nahm er die Arroganz, sich moralisch erhaben zu fühlen?
    Und dennoch: Das Gefühl der »Einheit«, das von der Führung ständig beschworen wurde, wollte sich bei der Fahrt durch Köln nicht einstellen. Obwohl hier schon überall die unvermeidlichen Transparente zum 1. Mai hingen, obwohl die Straßen nicht viel anders aussahen als in Berlin, fühlte er sich fremd. Vielleicht lag es daran, dass Bonn so nah war. Dort hatte die BRD immerhin vierzig Jahre lang ihren Regierungssitz gehabt. Es gab ja angeblich immer noch Wessis, die Bonn für die Hauptstadt Deutschlands hielten, und das zehn Jahre nach der Wende. Kramer bildete sich ein, in Köln rieche es katholisch: Der Kölner Dom überragte das Stadtbild während der ersten Minuten der Fahrt wie ein künstliches Gebirge.
    Im Grunde wusste er: Ganz Westdeutschland war anders als der Osten. Das ließ sich an vielem festmachen. Ein kleines Beispiel, das auch mit dem Einfluss der Kirchen zu tun hatte: Die »Jugendweihe« war in Westdeutschland nicht sehr populär, und wo sie doch gefeiert wurde, hatten meistens Pfaffen die Oberaufsicht. Was den Neofaschismus anging, so war auch darin der Westen eine ganz andere Hausnummer als der Osten: In industriellen Ballungsräumen, die die Wirtschaftskrise von 1987 besonders hart getroffen hatte (Ruhrgebiet, Saarland, Schwaben), aber auch vielerorts auf dem flachen Land, waren die Neonazibanden ausgesprochen stark. Manchmal sympathisierte die Westpolizei offen mit ihnen, so dass eine stärkere Kontrolle aus den Bezirkshauptstädten und Berlin notwendig wurde.
    Gegen seinen Willen wurde Kramer vom Fahrer in ein Gespräch über das Wetter hineingezogen. Er machte fein Männchen, weil er nicht für einen arroganten Ossi gehalten werden wollte, und als Pasulke unaufgefordert die Schauermär vom Bezirkssekretär zum Besten gab, merkte Kramer, dass auch sein Vize so dachte. Sie baten den Fahrer, auf dem Firmenparkplatz zu warten, und er sagte: »Selbstverständlich.«
     
    Kramer schaute hoch zum First des grauen Fabrikgebäudes. Er hatte sich über die Firma kundig gemacht, so gut es ging. Der Betrieb hatte vor der Wende Leiterplatten hergestellt, die hauptsächlich in sprechendem Spielzeug aus Fernost zum Einsatz gekommen waren. Die Planungskommission hatte den Betrieb mit beträchtlichen Schulden in Treuhand genommen, und selbst die verstocktesten Reaktionäre in der Arbeiterschaft gaben zu, dass dies seine Rettung gewesen war. Jetzt stellte er die Innereien für die beliebte »Freundschaft«-Computerkonsole her, die in der neuen DDR Standard war und an die Kunden im Ausland ging, die sie bezahlen konnte.
    Einen ehemaligen Kölner Edelweißpiraten zum Namenspatron für eine Spielzeugfabrik zu machen, hatte noch einmal für böses Blut gesorgt: Im Westen waren die Edelweißpiraten selten einmütig abgelehnt worden, und auch in der DDR hatten sie eher Unbehagen als Begeisterung hervorgerufen. Manchem Parteibonzen wäre es lieber

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