Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pommes rot-weiß

Pommes rot-weiß

Titel: Pommes rot-weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Güsken
Vom Netzwerk:
Arzt. Er findet erst kurz vor Ablauf der Frist heraus, wie es wirklich um den Mann steht.«
    Auf diesem Gebiet schien er sich informiert zu haben. Ich konnte nicht mithalten.
    »Schlimm, das gebe ich zu«, sagte ich und lächelte mein optimistischstes Lächeln in sein düsteres Gesicht, das schon probehalber dem Tod ins Auge sah. »Da kannst du dich glücklich schätzen, dass du nicht zu denen gehörst.«
    »Woher soll ich das denn wissen?«, entrüstete er sich. »Das ist ja genau der Punkt! Vielleicht bin ich einer von denen und niemand sagt es mir. Es ist diese Ungewissheit, die einen nicht schlafen lässt. Kannst du das verstehen?«
    »Ehrlich gesagt, nein.«
    »Dann versuche auch nicht, den Therapeuten zu spielen.«
    Er hatte Recht. Seine Psyche war zu kompliziert für mich. Ich zerknüllte meine Serviette und warf sie auf meinen Teller, um zu verhindern, dass er sie mit einem seiner Taschentücher verwechselte. »Also dann«, sagte ich und stand auf. »Viel Spaß noch beim Schnupfen.«
    »Glaubst du wirklich, dass mein Vater diesen Mann umgebracht hat?«
    »Und du?«, fragte ich zurück.
    »Völlig ausgeschlossen. Er könnte keiner Fliege was antun.«
    »Aber könnte er jemanden anheuern, der das kann?«
    »Genauso unmöglich. Das ist nicht sein Stil.«
    »Tja, wenn du das sagst…«
    »Du meinst«, seine Stimme zitterte leicht, »wenn einer das sagt, der Gespenster sieht und der seinem Vater am Rockzipfel hängt, dann braucht man das nicht ernst zu nehmen.«
    »Nein, natürlich nicht«, widersprach ich. Doch so ungefähr hatte er es getroffen.
    »Man kann einem Mann vorwerfen, dass er erfolgreich ist. Dass er sich nicht anpasst und seine Ellbogen benutzt. Aber…«
    »Sich nicht anpassen und seine Ellbogen benutzen – wie soll das denn gehen? Das ist wie essen, ohne etwas zu sich zu nehmen.« Ich streifte meinen Mantel über und ging zum Tresen, um zu zahlen. Hinter mir nieste es.
    »Moment!«, rief Tilo.
    Ich drehte mich um.
    Statt zu antworten, holte er Luft für einen weiteren Nieser. Er holte so tief Luft, dass in der Kneipe Ruhe eintrat, wie in einem Saloon, wenn der Schatten des Bösewichts durch die Tür fällt und die letzten Klaviertöne ängstlich verhallen.
    »Ja, und?«, fragte ich.
    Tilo explodierte. Der Nieser rollte wie eine Flutwelle durch den Raum und es gab niemanden, der nicht zusammenzuckte.
    »Weißt du, was ich von deinen obercoolen Weisheiten des Lebens so halte?«, rief Martens in die Stille hinein. »Mein Vater ist für dich ein heimtückischer Mörder, klar, und ich bin für dich ein hirnkranker Spinner, auch klar!« Er stand auf und trat ganz nahe an mich heran. Seine triefende, dunkelrote Nase hielt er auf mich gerichtet. »Hör auf, mir von da oben herab kluge Tipps zu geben, von wegen mein wahres Leben leben und so!«
    »Schon gut, vergiss es!«, bat ich ihn. Unwillkürlich hob ich die Hände, während ich vor ihm zurückwich. Dann wandte ich mich wieder an den Kellner.
    »Zahlen«, sagte ich, in der Hoffnung, dass Tilo nicht zu denen gehörte, die von hinten auf einen niesten.

20
     
     
     
    Das Schloss meiner Wohnungstür zu knacken war ein Kinderspiel. Deshalb musste man auch genau hinsehen, um zu bemerken, dass sich jemand Zutritt verschafft hatte, ohne einen Schlüssel zu benutzen. Aber längst bevor ich an der Tür stand, ahnte ich, dass ich inzwischen Besuch gehabt hatte.
    Dass eine ganze Bundesliga-Generation sich nach einem schweißtreibenden Endspiel zum Trikottausch bei mir eingefunden hatte, war nur eine hypothetische Möglichkeit. Schrader war die realistische. Ich hatte nach meinem Besuch bei Martens damit gerechnet, dass der Mann fürs Grobe und Meister filigraner Worträtsel über kurz oder lang bei mir auftauchen würde. Allerdings nicht, dass er schon vor mir da sein würde.
    Mein Versuch, mich völlig lautlos in die Wohnung zu schleichen, misslang schon beim zweiten Schritt. Ich trat auf etwas Weiches, Blättriges. Mein Fuß zuckte zurück.
    Vor mir auf dem Boden lag ein Kranz von der Art, wie man ihn bei feierlichen Beerdigungen benutzt. Dieser hier war ein besonders üppiger. So was schleppten Politiker bei Staatsbesuchen mit, um es vor Mahnmalen niederzulegen. Anstatt des üblichen In tiefer Trauer stand auf der goldenen Scherpe in gotischen, verschnörkelten Lettern: Jetzt bist du dran, Voß.
    Drüben in meinem Schlafzimmer brannte Licht, ebenso wie im Bad.
    Mein Herz begann urplötzlich zu hämmern und die Gedanken liefen durcheinander wie Hühner in

Weitere Kostenlose Bücher