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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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dieser eigenartigen Netzwerktheorie wiederholen soll. Den physikalischen Hintergrund verstehe ich nicht, aber ich
     weiß, dass sich solche Phänomene auch mathematisch erklären lassen. Und das soll man tatsächlich auch auf Menschen anwenden
     können?
    Die meisten anderen stehen offensichtlich völlig im Wald.
    «Was ist noch gleich eine Phasentransformation?», fragt Esther, die mit ihrem Stuhl kippelt.
    «Der Übergang von einer Phase in die nächste innerhalb eines thermodynamischen Systems.» Blackman kratzt sich am Kopf. «Sie
     brauchen das gar nicht bis ins Letzte zu verstehen, um die Netzwerktheorie zu begreifen. Es ist einfach nur hochinteressant,
     dass Netzwerke mathematisch gesehen auf genau die gleiche Weise von einem unverbundenen in einen verbundenen Zustand übergehen,
     wie beispielsweise Wasser zu Eis wird.»
    Esther runzelt die Stirn. «Ich kapier’s trotzdem nicht.»
    Kieran meldet sich zu Wort. «Du hast doch sicher schon mal von der kritischen Masse gehört? Oder vom kritischen Punkt?»
    «Ja», sagt Esther.
    «Wenn etwas seinen kritischen Punkt erreicht, verwandelt es sich entweder in etwas anderes, oder es explodiert einfach. Mr.   Blackman will uns erklären, dass die Verbindungen zwischen uns auch so funktionieren. Angenommen, du ziehst in eine neue Stadt,
     wo du keinen kennst. Ein paar Wochen lang bist du ganz allein, dann fängst du meinetwegen an der Uni an. Am ersten Tag unterhältst
     du dich mit jemandem, aber dieser Mensch kennt selbst nicht so viele Leute. Damit kennst du zwar einen Menschen, hast aber
     keine weiteren Verbindungen zu vielen anderen. Nach und nach findest du immer mehr Freunde, und irgendwann triffst du beispielsweise
     eine Frau, die total beliebt ist und praktisch alle Welt kennt. Und weil sie eben alle Welt kennt, nimmt sie dich mit auf
     eine Party. Da triffst du noch mehr Leute. Du fängst was mit einem Typen an, den du auf der Party kennengelernt hast, und
     sein Vater ist dann beispielsweise der Bürgermeister der Stadt. Plötzlich hast du Verbindungen zu zwei ganz wichtigen Dreh-
     und Angelpunkten innerhalb des dortigen Netzwerks und stellst fest, dass du eigentlich nur noch ein paar Schritte von jedem
     anderen Bewohner der Stadt entfernt bist. Der Moment, wo du vomNiemand zu einer Frau mit ganz vielen Kontakten wirst, das ist die Phasentransformation.»
    «Okay», sagt Esther. «Jetzt hab ich’s kapiert.»
    Kieran sinkt auf seinen Stuhl zurück, als wäre er ein Münzautomat, der Informationen ausspuckt, wenn man ihn füttert, und
     jetzt wartet, bis jemand eine neue Münze einwirft. Blackman legt die Kreide beiseite und wendet sich uns wieder zu.
    «Der junge Mann hier», sagt er und deutet auf Kieran, «hat uns gerade erklärt, wie Abkürzungen innerhalb von Netzwerken funktionieren.
     Solche Abkürzungen machen aus ganz normalen Netzwerken Kleine-Welt-Phänomene. Und obwohl wir eigentlich alle Zugang zu solchen
     Abkürzungen haben, scheint es gar nicht so unproblematisch zu sein, sie zu finden. So gut wir theoretisch auch vernetzt sind,
     so schwer fällt es uns offenbar, diese Vernetzung über die unmittelbare Umgebung hinaus einzuschätzen. Ich weiß zwar, dass
     ich Sie kenne, aber dadurch weiß ich noch lange nicht, wen Sie noch alles kennen. Und ich weiß erst recht nicht, wen Ihr Freund
     Simon, den ich selbst noch nie gesehen habe, kennen könnte. Trotzdem bin ich nur drei Schritte von seinen Freunden entfernt.
     Das Problem liegt nicht in der Vernetzung, sondern in unserer Unfähigkeit, damit zu arbeiten. Das hat Stanley Milgram bei
     seinem Kleine-Welt-Experiment herausgefunden. Er verteilte Briefe an zufällig ausgewählte Personen im mittleren Westen der
     USA, die sie einem Börsenmakler in Boston, also an der Ostküste, zustellen sollten. Einzige Bedingung: Die Briefe durften
     nicht mit der Post geschickt werden. Stattdessen wurden die Teilnehmer gebeten, sie an Bekannte weiterzugeben, die über die
     nötigen gesellschaftlichen Verbindungen verfügten, um den Brief etwas näher an sein Ziel zu bringen. Milgram hat damit zwar
     bewiesen, dass die Briefe den Adressaten schließlich doch erreichten, er konnte aber nicht beweisen, inwieweit Menschen in
     der Lage sind, ihre Kontakte optimal zu nutzen.
    Wenn wir das alles auf unser Anliegen übertragen, ein Plastikprodukt unter die Kinder dieser Welt zu bringen – zweifellos
     ein durchaus löbliches Unterfangen   –, wird es möglicherweise notwendig, dass Sie es den Kindern

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