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genauso?
Mein Großvater hat mir noch andere Paradoxa erzählt. Er braucht sie oft für seine Rätselkolumne. Mein Lieblingsparadoxon handelt
auch vom Zeitreisen (das ist wohl ein beliebtes Thema für Paradoxa). Ein Wissenschaftler namens Henry Humphrey findet eine
Möglichkeit, in die Zukunft zu reisen. Dort geht er in eine Bibliothek und liest ein paar wissenschaftliche Werke, die viel
fortschrittlicher sind als die seiner eigenen Zeit. Ein Buch fesselt ihn ganz besonders, und plötzlich sieht er, dass auf
dem Titelblatt sein Name steht! Er muss dieses Buch in seiner eigenen Zeit geschrieben haben. Unfassbar! Als er wieder in
die Gegenwart zurückkehrt, beginnt er seine bahnbrechenden Forschungen und verwendet dazu das Material aus dem Buch, das er
in der Zukunft gelesen hat. Warum auch nicht? Es war ja schließlich von ihm. Er veröffentlicht das Material unter allgemeinen
Lobpreisungen, und erst danach wird ihm klar, dass er zwei gewaltige Paradoxa kreiert hat oder ihnen vielleicht auch nur zum
Opfer gefallen ist. Wer hat das Buch eigentlich geschrieben? Und wo kommt der Inhalt her?
Henry Humphrey ist sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er sich nicht eines ganz gewaltigen, überzeitlichen Plagiats schuldig
gemacht hat. Hat er das Buch nun geschrieben oder nicht? In der Geschichte stößt er zuerst in der Zukunft auf das Buch und
schreibt es daraufhin. Hat das Buch in der Zukunft also schon existiert, bevor es in der Vergangenheit geschrieben wurde?
Oder heißt das einfach nur, dass Henry es erst nach seiner Reise in die Zukunft geschrieben hat? Aber hieße das dann nicht
wiederum, dass es ursprünglich von jemand anderem verfasst worden sein muss? Das ist kaum zu klären. Selbst wenn das Buch
in der Zukunft von jemand anderem geschriebenwurde, steht doch Henrys Name darauf, als es ihm in die Hände fällt, weil er natürlich in die Vergangenheit zurückkehren und
es dort schreiben wird. Wer also hat das Buch geschrieben? Lässt sich das überhaupt je herausfinden?
Das eigentliche Paradoxon liegt aber darin, dass das Buch überhaupt existiert. Wir fassen zusammen: Henry reist in die Zukunft,
findet dort bestimmte Informationen in einem Buch, kehrt zurück und verwendet die gefundenen Informationen, um ein Buch zu
verfassen, welches er dann in der Zukunft findet und das ihn dazu inspiriert und so weiter und so fort. Die perfekte Schleife
– allerdings mit einem kleinen Schönheitsfehler. Der Inhalt des Buches scheint aus dem Nichts zu kommen. Es wurde ja nie ursprünglich
geschrieben! Der Wissenschaftler findet die Informationen in der Zukunft – aber wie sind sie dorthin gekommen? Durch ihn!
Und woher hatte er sie? Aus der Zukunft! So setzt sich die Schleife endlos fort.
«Ich habe die Lösung», sage ich an einem klaren Tag Mitte Dezember zu meinem Großvater. «Es ist eigentlich ganz einfach. Jemand
anders hat das Buch geschrieben …»
«Und wann?»
«In der Zukunft.» Mein Großvater runzelt bereits die Stirn, doch ich lasse mich nicht beirren. «Das Buch ist also schon da,
es wurde nur von jemand anderem geschrieben …»
«Können wir diesem Jemand vielleicht einen Namen geben?»
«Klar. Es war eine Frau namens Tabitha Paradox.»
«Gut.» Mein Großvater rührt in der Suppe, die auf dem Herd köchelt.
«Gut. Tabitha schreibt also das Buch. Und Henry findet es, als er in die Zukunft reist.»
«Aber es steht doch sein Name drauf.»
«Weiß ich! Das will ich dir ja gerade erklären. In dem Moment,als er das Buch entdeckt, verschiebt sich etwas in der Zeit, und ihr Name wird zu seinem, weil das nämlich der Moment ist,
der die Geschichte ändert. Ihm fällt das natürlich gar nicht auf, weil es nicht mal den Bruchteil einer Sekunde dauert. Vielleicht
spürt er nur ein leichtes Knistern in der Luft oder einen kalten Windstoß.» In letzter Zeit habe ich ziemlich viele Science-Fiction-Romane
gelesen und kenne mich aus mit den Phänomenen, die eine Raum-Zeit-Anomalie ankündigen.
«Und trotzdem kehrt er in seine Zeit zurück und schreibt das Buch?»
«Ja.»
«Dann bleibt das Paradoxon aber erhalten. Tabitha kann ihr Buch nicht mehr schreiben, weil es bereits existiert. Es wurde
schon lange vor ihrer Geburt verfasst. Ihre Ideen sind nicht mehr bahnbrechend, weil sie bereits in der Welt sind – durch
das Buch, das Henry Humphrey …»
«… das
sie
geschrieben hat!», falle ich ihm ins Wort. «Ohne sie kann er es doch gar nicht
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