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PopCo

PopCo

Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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keineswegs
     dort stattfindet, wo wir es vermutet haben. Als wir den Großen Saal des Haupthauses betraten, wurden wir von einer streng
     blickenden Dame verscheucht, die uns knapp darüber in Kenntnis setzte, das Mittagessen finde in der «Cafeteria» statt. Irgendwie
     schien es uns nicht ratsam, sie zu fragen, wo die denn genau sei, und da ich mich noch an den Spiellärm aus dem Kids-Labor
     und den in diesem Zusammenhang viel entscheidenderen Essensgeruch erinnerte, führte ich Dan in die Richtung, die Mac mir am
     Morgen gezeigt hatte. Nachdem wir die große Sporthalle, ein kleines Haus und ein noch kleineres, etwas neueres Gebäude hinter
     uns gelassen hatten, waren wir schließlich am Ziel. Die Cafeteria, vermutlich aus den Überresten irgendeines landwirtschaftlichen
     Gebäudes errichtet, ist ein großer, moderner, rechteckiger Raum, ganz in Weiß gehalten, mit freiliegenden Chromleitungen und -armaturen . Sie soll die Atmosphäre einer Schulkantine verbreiten, zumindest war das wohl die Grundidee, doch dafür wirkt sie viel zu
     durchgestylt. Die ordentlich gedeckten Tischesind unregelmäßig geformte, orangefarbene Designerstücke aus Kunststoff mit eingelegten Go-Brettern. In einer Ecke ist ein
     D J-Pult aufgebaut, und eine Wand wird ganz von einem riesigen Plasmabildschirm eingenommen, auf dem Bilder von Kindern flimmern,
     die in Zeitlupe mit PopCo-Produkten spielen. Gegenüber befindet sich ein Podium mit zwei weiteren Kunststofftischen, die wahrscheinlich
     für Mac und sein Gefolge reserviert sind. Und hinten auf dem Podium steht – oh nein! – ein Flipchart. In dieser Branche gibt
     es wirklich keine Möglichkeit, dem Flipchart zu entkommen.
    Dan und ich stehen in einer Schlange, jeder ein Tablett in der Hand.
    «Was soll das alles?» Dan sieht sich um. «Ist das so eine Art Schulessen?»
    «Scheint so. Zumindest ist es ziemlich konzeptlastig.»
    «Stimmt.»
    Viele der Ausdrücke, die Dan und ich verwenden, wenn wir miteinander reden, stammen ursprünglich von Leuten, über die wir
     uns lustig machen wollten. Jeden zweiten Satz mit «Baby» enden zu lassen, war beispielsweise die Angewohnheit von Katerina,
     der Assistentin von Carmen der Ersten. Katerina war Russin und steckte mitten in einer leidenschaftlichen Affäre mit dem westlichen
     Kapitalismus. Wenn sie von ihren Shopping-Ausflügen (die sie immer als «Feldforschungen» bezeichnete) ins Büro zurückkam,
     brauchte man sie nie zu fragen, was sie denn gekauft hätte, weil sie gleich ihre Papiertüten schwenkte und «Levi’s, Baby!»
     rief. Dazu trug sie dieses ganz bestimmte stolze Lächeln zur Schau, wie ein Wildhund, der ein blutiges Huhn in der Schnauze
     trägt. «Konzeptlastig», «überkonzipiert» und «konzeptspezifisch» sind verschiedene Abstufungen von Kritik, die Richard Ford,
     der Chef von Carmen der Zweiten, gern von sich gibt. Seine Funktion besteht darin, hin und wieder in Batterseavorbeizuschauen und all unsere Ideen niederzumachen. «Sehr spannender Ansatz», sagt er dann. «Aber letztlich doch zu konzeptlastig.»
     Bislang hat noch keiner verstanden, was genau er damit ausdrücken will und was eigentlich so schlimm daran ist. Man sollte
     meinen, Kinderspielzeug wäre immer konzeptlastig. Obwohl ich Dan gelegentlich auch außerhalb der Arbeit sehe, haben wir uns
     seit dem Kabelfernsehen-Vorfall längst nicht mehr so oft getroffen. Entsprechend ist unsere Freundschaft strikt arbeitsbezogen,
     voller Anspielungen und Bürowitzchen. Im Büro kommen wir dem sehr nahe, was man so «beste Freunde» nennt, aber privat kennen
     wir uns im Grunde kaum.
    Ich bin an den Anfang der Schlange vorgerückt.
    «Fleisch oder vegetarisch?», fragt mich die Frau schroff.
    Dan stupst mich in die Seite. «Vegetarisch», zischt er mir zu. «Vegetarisch, vegetarisch!»
    «Autsch! Tut mir leid. Vegetarisch, bitte», sage ich.
    Die Frau seufzt und reicht mir einen mit Frischhaltefolie abgedeckten Teller mit Sandwiches und Salat. «Der Nächste», ruft
     sie und gibt auch Dan einen solchen Teller. Die Nicht-Vegetarier bekommen einen äußerst unappetitlichen Eintopf.
    «Woher hast du das gewusst?», frage ich Dan. «Das mit dem vegetarischen Essen, meine ich?»
    «Internatsgeschichten einer Exfreundin.»
    Das ist das Komische an Dans Angeschwultsein: Er redet immer nur von Exfreundinnen, nie von Exfreunden. Erstaunlich.
     
    Weil wir fast als Letzte gekommen sind, stehen wir auch ziemlich am Ende der Schlange. Die einzigen anderen

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