PopCo
weiß noch, dass es ein ziemlich verregneter Sommer war. Mein Großvater lag im Krankenhaus, und mein Auto war in den Streik
getreten. Ich fuhr ständig mit dem Bus herum, las dabei Bücher über den Zweiten Weltkrieg und verpasste bei beiden Gesprächen
die richtige Haltestelle in Battersea.
Schließlich wurde mir tatsächlich ein Job bei PopCo angeboten, mit einem recht hohen Gehalt und der Aussicht, täglich das
Haus zu verlassen und mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten. Beides hatte ich damals dringend nötig. Und die Anforderungen
klangen einigermaßen entspannt. «Denk dir einfach etwas aus», sagten sie zu mir. «Mach ein paar Vorschläge. Ganz ohne Druck.»
Meine ersten Ideen waren nicht sonderlich aufregend – geradezu lachhaft im Rückblick –, aber ich wurde tatsächlich nicht unter Druck gesetzt. Man ermunterte mich, mich ins «Team» einzuklinken, mir anzusehen,
was die anderen machten und wie sie es machten, und aus den eigenen Fehlern zu lernen. Irgendwann kam ich zu dem Schluss,
dass es wohl besser wäre, mit etwas zu arbeiten, was ich bereits beherrschte – ein Rat, den Autoren oft zu hören bekommen.
Und weil ich vor allem Geheimschriften beherrschte, erarbeitete ich den Vorschlag für das KidCracker-Set. Wobei ich natürlich
nicht einfach nur ein simples Konzept erarbeitete. In Battersea muss man auch immer wieder neuartige Strategien entwickeln,
wie man dem Team seine Ideen am bestenpräsentiert. Ich dachte mir kleine codierte Teaser aus. Die Idee war von Anfang an ein voller Erfolg.
Während ich noch mit diesem ersten Set beschäftigt war, starb mein Großvater, von dem ich alles über Kreuzworträtsel, Codes
und Entschlüsselungstechniken gelernt habe, was ich weiß. Ich hatte damit gerechnet, konnte es aber trotzdem kaum ertragen.
Neben vielem anderen hinterließ er mir ein unvollendetes Projekt und ein Medaillon mit einer seltsamen Geheimschrift, die
ich irgendwie entschlüsseln sollte. Ich erinnere mich nicht gern an diese Zeit. Und wenn ich an meinen Großvater denke, wie
er ungelenk auf unserem alten, braunen Teppich hockte, mit zusammengekniffenen Augen die Buchstaben auf seinen Scrabble-Steinen
entzifferte oder einen Zug auf dem Schachbrett machte, könnte ich immer noch auf der Stelle losheulen.
Mac steht auf der improvisierten Bühne und geht, unterstützt von einem weiteren Plasmabildschirm, die Umsatzzahlen des letzten
Jahres durch. Ab und zu gibt es Jubel und Applaus, manchmal nur von kleinen Grüppchen, die vermutlich für das jeweilige Produkt
verantwortlich sind. Meine Produkte sind nicht Teil der Präsentation, weil keines davon im letzten Jahr neu auf den Markt
gekommen ist; ich kann mich also entspannen und versuche stattdessen, im Publikum Leute zu entdecken, die ich kenne. Ziemlich
weit vorne sehe ich Carmen und natürlich Chi-Chi. Chi-Chi ist gewissermaßen der unheilvolle Genius der Firma und verantwortlich
für K, Pop-Cos erfolgreichste Undercover-Marke. Undercover-Marketing mag auf den ersten Blick überraschend wenig markenbewusst
erscheinen. Wozu hat man denn eine große, internationale Marke wie PopCo, wenn man das Logo dann nicht überall draufpappt?
Verkauft sich Spielzeug nicht vor allem über Logos? Und in den meisten Fällen trifft das auch tatsächlich zu –es sei denn, man versucht, eine Zielgruppe zu erreichen, die seit kurzem unter dem Begriff
No Logo
läuft. Die
No-Logo -Kids
, die in manchen Marktanalysen noch als «Randphänomen» bezeichnet werden, haben ebenfalls Geld, wollen es aber nur für kleinere,
unabhängige Markenartikel ausgeben.
K existiert ausschließlich im Internet und umfasst mehrere Unterprodukte, von denen Star Girl, ein Waisenmädchen aus dem Weltraum,
und ein postapokalyptisches Kaninchen namens Ursula am besten laufen. Das Ganze folgt einer gewissen süßlichen Manga-Ästhetik,
allerdings ohne deren Kindchenschema oder Vergnügungspark-Flair; etwa so, als hätte man
Hello Kitty
direkt in die ironisch-intelligente Welt schein-entfremdeter Teenager versetzt. Jede Figur hat ihre eigene Marke, und inzwischen
kann man überall auf der Welt T-Shirts , Portemonnaies, Buttons, Kapuzenshirts, Skateboards, Taschen, Zahnbürsten, Halstücher, Haarspangen, Heftzwecken und alles
mögliche andere aus dem dazugehörigen Sortiment kaufen. Star Girl ist besonders beliebt. Ihr Motto lautet: «Im Weltraum gibt
es keine Liebe.» K entstand ursprünglich aus der Idee, den Besuchern der
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