PopCo
Spielzeugpistolen oder Elektronik – einfach nur schlichtes, gutgemachtes Spielzeug. Ich befühle die seidige Oberflächevon ein paar Jonglierbällen, schaue mir Glasmurmeln an, Mikado- und Würfelspiele und entdecke etwas, aus dem sich die Ketten-oder-Armband-Idee,
die ich jetzt nicht mehr verwirklichen werde, zumindest teilweise speist: ein Spielzeugset, wie man es häufig in Kaufhäusern
findet, kleine gemischte Perlen mit Schnüren, aus denen man Ketten und Armbänder mit dem eigenen Namen auffädeln kann. Ich
muss lächeln. Das ist wirklich schön.
Ich gehe weiter zur nächsten Auslage. Oh nein. Das kenne ich. Ein Pappplakat mit den leicht verschmiert wirkenden, stilisierten
Bildern zweier Kinder, die aussehen wie mit Fingerfarbe gemalt. Das eine ist ein gelber Fleck mit braunen Zöpfen und einer
roten Mütze auf dem Kopf, das andere ein hellgrüner Fleck mit gelblich blondem, nach allen Seiten abstehendem Haar. Auf dem
dazugehörigen Schild steht:
Milly und Bo
. Doch Milly und Bo kenne ich bereits. In dem Regal neben dem Pappplakat finden sich die diversen Produkte aus der Serie:
eine Feuerwehrmannsuniform für Milly, eine Krankenschwesterntracht für Bo. Ein Milly-und-Bo-Puppenhaus mit Solarzellen, Komposthaufen
und allen möglichen Details, die Kinder dazu anregen sollen, traditionelle Rollenmuster aufzubrechen. Und obwohl ich nirgends
einen Hinweis und auch nicht das nur allzu vertraute Logo entdecke, weiß ich doch, dass Milly und Bo ein PopCo-Produkt sind.
Mir ist schlecht. Aber warum eigentlich? Was ist denn falsch daran, dass PopCo politisch korrektes Spielzeug herstellt und
vertreibt? Was ist falsch daran, dass dieses kleine Kaufhaus die Linie zusammen mit all den anderen, nicht-kommerziellen Produkten
verkauft? Tja … Falsch ist, dass ich hier nirgends ein PopCo-Logo sehe. Ein weiterer Fall von Undercover-Marketing. Falsch ist, dass Eltern
diese Produkte für ihre Kinder kaufen können, ohne überhaupt zu merken, dass sie damit den drittgrößten Spielzeughersteller
weltweit noch ein bisschen reichermachen. Falsch ist, was in der Branche als offenes Geheimnis gilt: dass nämlich PopCo die Idee von einer kleinen Spielzeugkooperative
namens Daisy aus Schottland geklaut hat, die weder auf Vertriebsebene dagegenhalten konnte noch genug Geld hatte, um PopCo
zu verklagen. Und falsch ist vor allem, dass es dem Vorstand von PopCo im Grunde egal ist, was sie herstellen, solange es
sich nur gut verkauft. Ich reiße die Plastikverpackung der Schwesterntracht für Jungen auf und schaue auf das Schildchen.
Made in China
. Ob jemand einen Arm oder ein Bein verloren hat, damit westliche Mittelstandskinder mit ihren Geschlechterrollen experimentieren
können? Wie schön, dass wir es uns hierzulande leisten können, uns Gedanken über die Gleichberechtigung der Geschlechter zu
machen, während die Arbeiter so vieler ausländischer Fabriken, ganz gleich, ob Männer, Frauen oder Kinder, nicht einmal eine
Gewerkschaft gründen und für einen gerechten Lohn kämpfen können.
Die Kinder, die in solchen Fabriken Fußbälle herstellen oder Turnschuhe, Stirnbänder und Portemonnaies für uns zusammennähen
– sie werden niemals mit solchen Spielsachen spielen. Sie stellen sie her, dürfen aber nicht damit spielen. Ich greife in
die Packung, die ich gerade aufgerissen habe, und taste nach einer Naht, und als ich sie gefunden habe, trenne ich sie von
oben bis unten auf. Dann lasse ich die Packung offen liegen. So. Daran zumindest wird PopCo kein Geld mehr verdienen.
Ich verlasse das Kaufhaus, überquere die Straße und gehe zum Museum zurück, um auf Ben zu warten. Ich spüre ein inneres Glühen,
das mir gleichzeitig albern vorkommt. Zum letzten Mal hatte ich das mit zwölf, als ich einem Mathelehrer, der mich fertiggemacht
hatte, einen bösen Streich gespielt habe. Ich habe die Firma PopCo um ein Produkt gebracht. Ich habe heute noch keinem Tier
Leid zugefügt. Das mag zwar nicht viel sein, aber es ist in jedem Fall mehr, als ich bisher getan habe.
Als wir später zum Dartmoor zurückfahren, ist der Himmel dunkelblau, und der fast volle Mond sieht aus wie ein hineingestanztes
Loch.
«Guckt mal», ruft Esther, sobald wir die Stadt hinter uns gelassen haben. «Fledermäuse!» Doch ich schaue immer noch zum Himmel
hinauf.
An einem Sonntagabend vor etwa einem Jahr habe ich es endlich geschafft, meinen Großvater loszulassen. Ich fuhr von Cambridge
zurück nach
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