Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
PopCo

PopCo

Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
Vom Netzwerk:
London und hatte mich gerade von einem gewissen Paul getrennt, mit dem ich ein paar Wochen zusammen gewesen war.
     Ich wusste von Anfang an, dass die Beziehung keine Zukunft hat. Zum einen zwang sie mich, immer wieder nach Cambridge zurückzukehren,
     einen Ort, an dem ich nun wirklich nicht sein wollte: Auf allem dort scheinen Erinnerungen zu liegen, so dick wie die Butter
     auf den Hefebrötchen, die ich früher im Garten meiner Großeltern aß. Und zum anderen hatte ich das Problem, dass ich generell
     unfähig war, überhaupt etwas zu empfinden. Ich hatte mich deswegen sogar schon mit Rachel gestritten.
    Paul war ein Zwischending zwischen Künstler und Art Director und war zu uns nach Battersea gekommen, um sich ein paar Requisiten
     auszuleihen, die er für die Werbekampagne für eines unserer Produkte brauchte (ich weiß schon gar nicht mehr, welches es war).
     Wir gingen ein, zwei Mal nach der Arbeit etwas trinken, landeten schließlich in meinem Bett, und hinterher erzählte er mir,
     dass er so schnell nicht wieder nach London kommen werde. Er lud mich ein, ihn am nächsten Wochenende in Cambridge zu besuchen.
     Und obwohl ich innerlich noch vom Verlust vernebelt und von der Arbeit völlig überdreht war, wurde es ein ganz lustiges Wochenende.
     Paul hatte drei Mitbewohner, die alle gleich aussahen, die Sorte Jungs, mit denen man die sprichwörtlichen Pferde stehlen
     kann. Ich hatte den Prototyp eines neuen Brettspiels dabei, wirspielten es alle gemeinsam und lachten uns halbtot dabei, als würden wir uns schon ewig kennen. Gesellschaft war mir damals
     deutlich lieber als Alleinsein, und trotzdem war der Regenbogen möglicher Launen, Empfindungen oder Gefühle in mir zu einem
     schmutzig braunen Etwas zusammengelaufen, und ich konnte einfach nichts für Paul empfinden. Am dritten Wochenende sagte er
     mir, er habe sich in mich verliebt. Am vierten Wochenende fuhr ich hin, um ihm zu sagen, dass ich nicht mehr kommen würde.
     Ich konnte es ihm nicht erklären, ich sonderte einfach nur ein Klischee nach dem anderen ab und dachte dabei:
Das stimmt alles. Es liegt tatsächlich an mir und nicht an ihm. Und ich weiß wirklich nicht recht, warum.
    Wenn ich aus Cambridge komme, fahre ich nie über die Autobahn (die irgendwann nach Nordlondon führt), sondern immer über die
     Landstraße, wo man Hecken und Landschaft und hin und wieder auch ein Tier sieht. Es war Juli und immer noch lange hell. Gegen
     zehn verabschiedete ich mich endlich von Paul und fuhr los. Ich fuhr sehr schnell und empfand eigentlich immer noch nichts.
     Als ich einen steilen Hang hinaufkam, der auf beiden Seiten von Feldern umgeben war, sah ich plötzlich am Horizont einen Streifen,
     wie ein Band aus hellblauem Licht. Erst konnte ich das nicht recht einordnen, doch dann wurde mir klar, dass es das letzte
     Stück Himmel sein musste, das dem spektakulären Sonnenuntergang noch nicht zum Opfer gefallen war: ein babyblaues Restchen
     Tag, das gerade so zwischen den Bäumen hervorschimmerte. Von einer baumlosen Stelle aus sah ich, wie es sich über den ganzen
     Himmel spannte. Der Tag erstarb vor meinen Augen, und alles war blutübergossen. Dann schob sich eine Hecke dazwischen, und
     der ganze quälend-schöne Anblick war verschwunden.
    Nach oben. Ich musste weiter nach oben. Anstatt meine übliche Abzweigung zu nehmen, die bergab führte, als tauchte man in
     eine tiefe Schüssel hinein, bog ich einfach irgendwoab und lenkte den Wagen weiter bergauf, auf der Suche nach einem Ort, von dem aus ich den sterbenden Himmel beobachten konnte.
     Ich musste das unbedingt sehen. Plötzlich erschien mir nichts wichtiger als das, und ich raste in einem Wettlauf gegen die
     Zeit den Hang hinauf, um oben anzukommen, ehe die Nacht ihre kritische Masse erreichen und der Sonnenuntergang verschwinden
     würde. Schließlich fand ich den perfekten Aussichtspunkt: die verlassene, dunkle Ruine einer abgebrannten Tankstelle. Ich
     schaltete die Autoscheinwerfer ab, und alles war verwandelt. Vor mir nahm der Sonnenuntergang jetzt den ganzen Horizont ein,
     Kilometer und Aberkilometer Himmel. Hinter mir war bereits Nacht, doch ich saß hier oben, verstohlen wie ein Gott, und betrachtete
     das letzte, langgezogene Leuchten des Tages, dieses Nachmittagsblau unter all dem Orange und Rot, in das sich noch Grau, Schwarz
     und Lila mischten, lauter Himmelsflicken, die in- und um- und durcheinanderflossen. Das konnte man unmöglich malen. Man konnte
     es auch nicht auf

Weitere Kostenlose Bücher