PopCo
es hier geht? Du hast doch schon genug gegen mich in der Hand. Du könntest Ben von mir und Georges erzählen. Du könntest
aller Welt von mir und Georges erzählen. Außerdem … frisiere ich meine Spesenabrechnung. Das könntest du auch erzählen.»
«Die Spesenabrechnung frisieren wir doch alle.» Chloë bläst eine Rauchwolke in die Luft. «Außerdem verlässt du die Firma sowieso,
da ist es dir bestimmt egal, wer davon erfährt …»
«Ben verlasse ich aber nicht.»
«Nein.» Sie legt die Stirn in Falten. «Nein, das stimmt natürlich.»
Es fühlt sich an, als wären wir beide wieder elf. Ich biete ihr das Erwachsenenäquivalent des Satzes «Ich habe Georgesgeküsst» als Sicherheit, damit sie mir ihr Geheimnis verrät. Allerdings schwant mir, dass das, was Chloë mir zu sagen hat,
sehr viel bedeutungsvoller ist. Würde ich es mir anvertrauen, wenn ich an ihrer Stelle wäre? Garantiert nicht.
«Pass auf», sage ich unvermittelt. «Wenn du es mir nicht erzählen willst, dann lass es. Aber da du eigentlich nur aus diesem
Grund überhaupt hergekommen bist, solltest du es vielleicht einfach hinter dich bringen. Ich werde es ganz bestimmt niemandem
verraten, selbst wenn ich nicht eurer Meinung sein sollte. Es sei denn … Gut, der Ehrlichkeit halber muss ich sagen, dass ich es schon weitererzählen würde, wenn ich das, was ihr macht, moralisch
falsch fände, wenn also beispielsweise Tiere oder Kinder dabei zu Schaden kämen. Aber irgendwie scheint mir, das wird nicht
der Fall sein.»
Chloë seufzt. «Nein, eigentlich eher im Gegenteil. Und damit hast du jetzt auch genau das Richtige gesagt …»
Der Schlüssel
, denke ich.
Zur richtigen Tür
.
Chloë greift nach dem Aschenbecher. «Wir nennen uns NoCo», sagt sie. Dann seufzt sie wieder, als wäre ihr klar, dass sie sich
gerade in eine Einwegfunktion begeben hat. Und während das Radio uns erneut mit Bach und noch mehr
Idoru
beschallt, erzählt sie leise weiter. «Wir sind eine Widerstandsbewegung, das hast du bestimmt schon erraten. Wir arbeiten
gegen eine Welt, in der Leute wie Mac und Konsorten jedes Jahr Millionen verdienen, während diejenigen, die die Produkte für
sie herstellen, nur einen Hungerlohn bekommen. Wir arbeiten gegen eine Welt, in der Leute wie wir dafür bezahlt werden, anderen
etwas vorzugaukeln, damit sie Dinge kaufen, die sie gar nicht brauchen.»
Ich lächele sie an. «Bisher bin ich noch voll und ganz eurer Meinung», sage ich.
«Für uns ist das besonders relevant, weil wir zu einem Spielzeughersteller gehören», fährt Chloë fort. «Da wird die ganzebittere Ironie noch viel offensichtlicher als anderswo. Man denkt über Kindheit nach, fragt sich, was das eigentlich genau
ist, und stellt fest, dass es im Prinzip nur aus Lügen und Widersprüchen besteht. Mama und Papa sitzen auf ihrem Ledersofa,
erzählen dir was von der ‹Muh-Kuh› und zeigen dir hübsche Bilder von Kühen auf der Weide. Wenn du dann ein paar Jahre später
dein Happy Meal bestellst, ziehst du gar keine Verbindung zu dieser ‹Muh-Kuh›. Die Muh-Kuh ist das eine, der Hamburger mit
Rindfleisch etwas völlig anderes. Und Leuten wie uns, auch wenn uns das nicht immer klar ist, fällt die Aufgabe zu, die beiden
Konzepte weiter voneinander getrennt zu halten, damit wir gleichzeitig Muh-Kuh-Bücher und Spielfigürchen für die Happy Meals
verkaufen können. Wir verscherbeln Finbar’s Friends an fröhliche Großstadtkinder, die glauben, die Spielsachen würden vom
Weihnachtsmann hergestellt und nicht von modernen Sklaven in der Dritten Welt. Wir verkaufen ihnen kuschlige Tiere, die sie
mit ins Bett nehmen können. Dabei ist es doch absurd, dass das, was Kindern in westlichen Ländern Trost und Geborgenheit gibt,
zugleich ein so starkes Symbol des Unglücks und der Unterdrückung ist. Nur durch Illusionen können wir die Tiere überhaupt
verkaufen, und damit sie sich weiter verkaufen, müssen wir auch die Illusionen erhalten. Wir vermarkten die Liebe zu leblosen
Gegenständen und eine Form von Sentimentalität, die dazu führt, dass das Kind ins brennende Haus zurückrennt, um seinen Plüschhasen
zu retten, während Papa beim Autofahren nicht mal den Nerv hat, auf der Landstraße einem echten Hasen auszuweichen. Wenn man
mal drüber nachdenkt, liegt darin die eigentliche Macht der Marken. Der eine Hase hat ein Logo am Hintern, der andere nicht.
Den mit dem Logo darf man lieb haben, da hat kein Mensch was
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