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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Lügen erzählen, die kein Mensch
     hinterfragt. Die Sportklamottenfirmen verkünden lauthals, dass sie nichts in Sweatshops fertigen lassen, und die Leute denken:
     ‹Puh, ein Glück, jetzt kann ich meine Lieblingsturnschuhe weiter kaufen und muss kein schlechtes Gewissen haben.› Dabei stimmt
     das überhaupt nicht. Natürlich nutzen die großen Konzerne solche Betriebe, allerdings nur über Subunternehmer, damit sie keine
     echte Verantwortung dafür übernehmen müssen. Und was die Milchproduktion betrifft, da ist mir aufgefallen, dass so ziemlich
     jeder sein eigenes Märchen hat. Ich kenne jemanden, der allen Ernstes glaubt, Kühe könnten inzwischen Milch produzieren, ohne
     jemals trächtig zu werden. Und wieder jemand anders glaubt, die Kühe würden einfach weiter Milch geben, wenn die Kälber sie
     nicht mehr brauchen, und diese Milch bekämen dann wir. Sie wollen gar nicht wissen, dass die Kühe Jahr für Jahr trächtig werden
     müssen, dass die Kälber ihnen weggenommen und getötet werden, brüllend und unter fürchterlichen Schmerzen, damit wir uns die
     Milch unter den Nagel reißen können, die immer weiter für sie produziert wird   …»
    «Du brauchst gar nicht weiterzureden», unterbreche ich sie rasch. Mir ist jetzt schon ganz schlecht. «Ich habe ja selbst aufgehört,
     Milch zu trinken, als mir das alles klargeworden ist. Aber die Details kann ich mir gerade auch nicht anhören, das ist einfach
     zu schrecklich   …» Ich muss wieder an die Spielzeugtiere vom Bauernhof denken. Eigentlich kein Wunder, dass niemand glauben kann, was für
     fürchterliche Dinge denBauernhoftieren angetan werden, wo wir doch alle mit solchen Spielsachen aufgewachsen sind.
    «Da reagierst du kaum anders als die Leute, mit denen man auf der Straße ins Gespräch kommt», sagt Chloë. «Und ich kann das
     ja auch verstehen. Natürlich will keiner wissen, was mit den Kälbern passiert. Kein Mensch will im Zusammenhang mit seinem
     Milchshake oder seinem Schweinekotelett das Wort ‹brüllend› hören. Ich kann das auch gar nicht gut, ich fühle mich immer richtig
     schlecht dabei, die Leute so aus der Fassung zu bringen. Am liebsten würde ich ihnen das alles gar nicht erzählen. Manchmal,
     wenn irgendwem auffällt, dass man keine Milch trinkt, bekommt man zu hören: ‹Aber das ist doch etwas ganz Natürliches und
     Schönes, die Menschen trinken seit Urzeiten Milch   …› Dann antwortet man: ‹Ich kann dir ja mal erzählen, wie Milch wirklich produziert wird.› Und ich sage dir, in neun von zehn
     Fällen hält der Betreffende dann die Hand hoch und sagt: ‹Nein, vielen Dank.› Die wollen das gar nicht wissen. Viele Leute
     haben eine ungefähre Vorstellung von den grauenvollen Dingen, die da vorgehen, haben aber beschlossen, sich nicht näher damit
     zu befassen. Wir sind alle mit diesen Bildern von hungernden Kindern aufgewachsen, die jeden Abend in den Nachrichten kamen,
     und was ist aus uns geworden? Eine Generation, die nicht hinschaut, die ganz schnell umschaltet oder die Augen zumacht. Man
     sitzt mit ungefähr zehn vor dem Fernseher und sieht irgendeinen Moderator aus dem Kinderfernsehen, der einem Bilder einer
     Hungersnot zeigt und fragt: ‹Also, Kinder, was wollt ihr dagegen unternehmen?› Wie soll man denn mit so was umgehen? Andererseits
     haben natürlich viele genau wegen dieser Bilder geholfen   … Ich glaube, ich will damit eigentlich nur sagen, dass die meisten Leute da draußen einfach nicht mit dem ganzen Leid und
     Schmerz in der Welt zurechtkommen. Sie wissen schon, dass sie an vielem selber schuld sind, indemsie beispielsweise eine Regierung wählen, die für Erdöl Kriege führt, indem sie Kleider kaufen, die unter menschenunwürdigen
     Bedingungen hergestellt werden, oder Tiere essen, die unter Schmerzen sterben mussten. Aber sie wissen auch, dass die Regierung
     trotzdem an die Macht kommt, auch wenn sie sie nicht wählen, und dass alle anderen die Produkte trotzdem weiter kaufen, auch
     wenn sie es nicht mehr tun. Da ist es schon fast logisch, gar nichts zu unternehmen.»
    Ich weiß noch, wie die Hungersnot in Äthiopien die Schlagzeilen beherrschte. Die Fernsehberichte darüber habe ich natürlich
     nie gesehen, die Zeitung meiner Großeltern aber schon. Und ich kann mich erinnern, dass die Clique der Beliebten in der Schule
     über das Thema geteilter Meinung war. Die einen liefen die ganze Zeit mit Spendenaufrufen herum, während die anderen Äthiopien-Witze
    

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