Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
Vom Netzwerk:
anderen Seite sehen. Trübes, graues Schmutzwasser strömte durch die Röhre und schäumte zu unseren Füßen auf, um genau vor uns einen länglichen See zu bilden. Davor lagen die schmelzenden, immer kleiner werdenden Schneewälle wie Berge schmutziger alter Bettlaken. Niila deutete auf die dunkle Wassermasse.
    » Present «, sagte er freundlich zu den Zwillingen.
    Sie beugten sich vor. Direkt unter der Wasseroberfläche lagen große, schleimige Klumpen. Aus der Nähe konnten wir sehen, wie sich in ihnen etwas bewegte. Schwarze kleine Föten drehten sich zuckend hin und her. Im Wasserdunkel weiter hinten waren bereits einige Wesen zur Ruhe gekommen.
    »Vom Friedhof«, erklärte Niila kurzangebunden.
    Die Zwillinge sahen mich zweifelnd an, während ich selbst versuchte, herauszubekommen, was Niila im Sinn hatte.
    »Wenn der Schnee schmilzt, läuft das Wasser durch die Särge«, schnitt ich mit leiser Stimme dick auf, »und dann werden die Seelen der Toten hierher gespült.«
    Niila holte einen alten rostigen Kaffeekessel. Die Zwillinge betrachteten mit großen Augen die Brut im Tümpel.
    »Engel«, betonte Niila.
    »Wenn man sie aufbewahrt und pflegt, werden sie Engel und fliegen in den Himmel«, bestätigte ich.
    Der eine Zwilling nahm den Kaffeekessel und begann seine Lackschuhe aufzuschnüren. Der andere zögerte zunächst, folgte aber dann dem Beispiel. Schnell zogen sie sich die Strümpfe und Anzughosen mit Bügelfalte aus und stellten sich in ihren bauschigen amerikanischen knielangen Unterhosen barfuß an den Schneerand. Mit kurzen, zögerlichen Schritten traten sie in den Matsch. Und gleich darauf waren sie vollauf damit beschäftigt, Seelen einzufangen. Das Schmelzwasser reichte ihnen bis hoch an die Knie. Sie begannen zu frieren, dass sie zitterten, waren aber vom Jagdfieber gepackt. Und schon bald jubelten sie und hielten den Kessel mit einigem schwimmendem Froschlaich hoch. Ihre Lippen wurden schon blau.
    Plötzlich wurde ein dunkler, schleimiger Klumpen aus der Straßenröhre gespült und fiel mit einem Platscher in den Tümpel.
    »Oma!«, rief Niila aus.
    Einer der Zwillinge streckte sofort seine Arme aus und grub und schob heran. Dann rutschte er aus und fiel hin. Sein Kopf verschwand unter der schleimigen Oberfläche. Sein Bruder konnte ihn packen, verlor aber selbst das Gleichgewicht und fiel mit rudernden Armen ebenfalls hin. Schnaubend krabbelten beide an Land, so verfroren, dass sie kaum allein aufstehen konnten. Aber heil stand der Kaffeekessel mit seinem schwimmenden Laich im Gras.
    Niila und ich waren stumm vor Bewunderung ob all dieser Tapferkeit, während die Zwillinge sich anzogen. Sie froren und zitterten so sehr, dass wir ihnen mit den Hemdenknöpfen helfen mussten. Die Unterhosen zogen sie aus und wrangen sie aus, dann kämmten sie sich beide mit einem eleganten Schildpattkamm den Dreck aus den Haaren. Ihre Augen funkelten, als sie zum Kaffeekessel schauten. Eine Hand voll kleinen Laichs schwamm darin mit schwingenden Schwänzen. Schließlich gaben uns die Brüder einen eiskalten, aber herzlichen Handschlag.
    » Thankyou! Danke! Kitas!«
    Mit dem Kaffeekessel zwischen sich marschierten sie zum Rauchstubenhaus, eifrig auf Amerikanisch diskutierend.
    Schon am gleichen Nachmittag begann der Erbstreit. Man wartete, bis die Beerdigungsrituale beendet waren und die Nachbarn und Prediger sich davongetrollt hatten. Dann wurden die Türen des Rauchstubenhauses für Außenstehende geschlossen. Die verschiedenen Zweige der Familie, der Ausschuss und die aufgepfropften Teile versammelten sich in der großen Küche. Das Dokument wurde auf die Tischplatte gelegt. Lesebrillen kamen aus den Handtaschen hervor und wurden auf schweißglänzenden Nasen balanciert. Man räusperte sich. Man befeuchtete die Lippen mit scharfen, bösen Zungen.
    Und dann ging es los.
    Eigentlich hatte die Großmutter ja ein Testament geschrieben. Es stand in ihrem hinterlassenen Schreibheft und war bescheiden gesagt ziemlich umfangreich. Ein Detail folgte dem nächsten in ihrer zittrigen Handschrift, Seite für Seite. Der und der sollte das und das bekommen und zwar unter diesen und jenen Bedingungen. Aber da die gute Frau ihren Fortgang mindestens seit den letzten fünfzehn Jahren vorbereitet hatte und außerdem ziemlich launisch gewesen war, wimmelte es von Änderungen, Durchstreichungen und Zusätzen am Seitenrand, und dann gab es noch diverse lose Blätter mit den verschiedensten Fußnoten. Einige aus der Familie waren bei

Weitere Kostenlose Bücher