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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Rangordnung ausgetauscht wurde, die auf Attraktivität basierte. Krummgebeugte, ängstliche kleine Mädchen konnten plötzlich zu schlanken Schönheiten mit hohen Wangenknochen heranwachsen. Kleine, flaumige Jungs mit Lachgrübchen verwandelten sich zu großnasigen Pavianen mit vorstehenden Eckzähnen. Ein stummer Erkheikkijunge konnte plötzlich anfangen zu reden und einen leisen, unwiderstehlichen Charme entwickeln, während ein redseliges Pajalamädchen in unerklärlichen Depressionen verschwand und sich langsam in ein Nichts verwandelte, mit dem nicht mehr zu rechnen war.
    Ich selbst gehörte zu den Kindern, die mit zunehmendem Alter hässlicher wurden, während meine Ausstrahlung im Gegensatz dazu stärker wurde. Niila wurde gleichzeitig hässlicher im Äußeren und immer weniger umgänglicher im Sozialen, und die Musik wurde wohl sein einziges Atemloch in der Welt.
    Ich versuchte ihm den einfachen Trick beizubringen, an den Tod zu denken, wenn man auf eine Braut stieß. Das hat mir viele Jahre lang immer wieder geholfen und ist überraschend effektiv. Ich werde ja in ein paar lächerlichen Jahrzehnten sowieso sterben. Mein Leib wird für alle Zeiten ausgelöscht werden. Das Gleiche wird dem Mädchen zustoßen, wir werden alle bald ausgelöscht und verschwinden. In tausend Jahren ist unser Leben, sind alle unsere lebhaftesten Träume und schlimmsten Ängste zu Staub und Asche verweht. Was spielt es da für eine Rolle, wenn sie mir jetzt einen Korb gibt oder schnippisch ist oder mir frech ins Gesicht lacht? Dank dieser krassen Einstellung habe ich zwischenzeitlich auf dem Gebiet der Liebe die sonderbarsten Dinge ausrichten können, mich beispielsweise an lebensgefährlich schöne Frauen herangewagt und ab und zu tatsächlich mit ihnen spielen können.
    Das war wohl der einzige Ratschlag, dem Niila wirklich zuhörte. Er dachte dann aber öfter an den Tod als an Mädchen. Der Kerl wurde kurz gesagt richtiggehend unerträglich. Und nicht lange, dann würde er meine Hilfe brauchen, aber davon wussten wir damals noch nichts.
    KAPITEL 10
    - über unwillkommenen Nachtbesuch, ein klapperdürres Knochengerüst mit Geschenken und wie man Hilfe in der Not bekommt.
    Irgendwo in meinem Körper wurde ein Schalter umgelegt, und die Reise begann wirklich. Die Pubertät. Es war im Sommerhalbjahr in der Sechsten, es war gar nichts Dramatisches, was sich ereignete, ich wurde mir nur sehr deutlich einer Veränderung bewusst. Das war nichts Körperliches, auch keine äußeren Zeichen, das war etwas im Gehirn. Etwas geschah da drinnen, jemand nahm dort einen Platz ein. Jemand, der mir ähnlich war, aber doch ein anderer. Eine Launenhaftigkeit kam in mein Leben, die ich nicht immer beherrschte. Eine Unduldsamkeit, die ich selbst nicht verstand. Und ein unerwartetes, ein wirklich überraschend starkes Interesse für Sex.
    Eines Nachmittags am Ende des Sommerhalbjahres lag ich auf meinem Bett und blätterte in einer Lektyr. Ich hatte sie während eines Besuchs in Lulea heimlich gekauft, weil mich dort niemand kannte und also auch keiner darüber spotten konnte. Es gab nichts Schlimmeres, als verständnisvolle Blicke von Lockenwicklertanten mittleren Alters im Konsum, die Mutter und Vater kannten und deren hübsche Töchter in die Parallelklassen gingen. Wenn man die Lektyr kaufte, gab man zu, geil zu sein. Und damit entblößte man sich, geriet ins Hintertreffen und konnte nur noch rot werden und stottern.
    Plötzlich stand er mitten im Zimmer. Ich zuckte zusammen, warf die Zeitschrift weg und sprang schnell auf die Beine, um die Beule in der Hose zu kaschieren.
    »Scheiße, ich dachte schon, dass wäre meine Mutter!«
    Niila gab keine Antwort. Er war in seiner üblichen lautlosen Art hereingehuscht und stand jetzt unbeweglich wie eine Wand da. Ich versuchte meine Scham zu überspielen und dachte, dass Angriff sicher die beste Verteidigung sei. Ruppig schlug ich das Pin-Up Girl der Woche auf. Schwarzer Spitzen-BH, lechzender Blick und rote, hochhackige Stiefel.
    »Kleb sie dir zu Hause an die Wand«, schlug ich kaltblütig vor.
    Ein unmöglicher Gedanke, und Niila schreckte davor zurück. Aber er konnte seinen Blick nicht von dem Mädchen lösen. Er machte keinerlei Anstalten die Zeitschrift zu ergreifen, also blätterte ich für ihn und zeigte ihm ein Foto nach dem anderen.
    »Guck mal, die hat ihn da festgebunden. Und hier, Gummikleidung. Und den Brief musst du geschrieben haben, Niila: Ich habe meine Unschuld im Konfirmandenlager

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