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Port Vila Blues

Port Vila Blues

Titel: Port Vila Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Disher
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über den Stein gleiten ließ und leise vor sich hin sang. »Mensch, jetzt komm doch endlich«, knurrte der Mann, packte das Kind am Arm und zerrte es weiter.
    Wyatt richtete sich auf und stieg die Stufen hinab. Wer sollte ihm eigentlich hier auflauern? Alle alten Rechnungen waren schließlich beglichen.
    Er schlenderte den Salamanca Place hinunter, immer entlang der Rasenflächen, und entzog sich so den Scharen von Touristen und Durstigen vor den Cafés und Bars. Am Ende des Platzes angekommen, musste Wyatt sich kurz orientieren, aus welcher Richtung der Verkehr kam, dann wandte er sich nach rechts, ging vorbei an einer restaurierten Ketsch und weiter zu den Anlegeplätzen. Noch mehr Touristen, als Schlange vor den Fähren, beim Studium der Speisekarte eines Restaurants oder beim Begaffen der Yachten.
    Auch Wyatt gaffte, wenn auch mit kritischem Blick. Seit sechs Wochen nahm ihn ein alter Segler auf seinem Zweimaster mit hinaus — gegen Bezahlung —, lehrte ihn Segel zu setzen, zu navigieren, brachte ihm bei, wie man sich auf See verhält. Sobald Wyatt es sich leisten konnte, sobald er seine Verpflichtungen gegenüber Jardine erfüllt hatte, würde er sich ein Boot kaufen und darauf leben. Angesichts seiner Art zu leben, die er gewählt hatte, die er hatte wählen müssen, schien ein Boot etwas Sinnvolles zu sein. Er glaubte nicht daran, dass das Schicksal ihm erlauben würde, sich jahrein, jahraus an ein und demselben Ort aufhalten zu können, und es sollte auch nicht alles für ein Stück Land mit Haus draufgegangen sein, wenn es der Polizei oder einem Killer aus seiner Vergangenheit doch noch gelänge, ihn aufzuspüren, ihn quasi zu nötigen, wieder alles im Stich zu lassen und die Flucht anzutreten. Ein Boot bedeutete Mobilität. Auf diese Weise wäre er immer den großen Coups auf der Spur oder könnte weiterziehen, falls ihm irgendwo der Boden unter den Füßen zu heiß würde. Es gab einen Haufen Leute, die auf Booten lebten, in jeder Marina, in jedem Hafenbecken dieser Welt hatten diese Globetrotter festgemacht. Er wäre niemandem gegenüber Rechenschaft schuldig, niemandem fiele er auf. Zwar hätte er nicht die offenen, sanft geschwungenen Hügel des Küstenortes, den zu verlassen er vor drei Jahren gezwungen war, doch er hätte das offene Meer und den Himmel.
    Er verließ das Hafenviertel und ging landeinwärts, die Argyle Street entlang, ein steiler Aufstieg, der bis zur Spitze des Berges führte, der sich hinter der Stadt erhob. Wyatt spielte mit dem Gedanken, sofort ein Boot zu kaufen und schon hier darauf zu leben — bis wieder etwas schief ginge und er sich absetzen müsste. Irgendetwas würde schief gehen, das war für ihn keine Frage. Wäre er nur auf sich selbst angewiesen, wäre Wyatt wohlhabend, niemand würde ihn kennen, niemand würde ihn belästigen — aus seiner Sicht ein nahezu perfektes Leben. Aber er war leider immer auf andere angewiesen, auf Leute, denen er entgegenkommen, die er unter Druck setzen, überreden oder anleiten musste, und unweigerlich war immer einer darunter, der ihn hängen ließ. Sie machten Fehler oder wurden maßlos oder es gefiel ihnen einfach nicht, wenn er hinterher ein Bier mit ihnen trinken wollte. Ihre Lebensgeschichten füllten die Spalten der Tageszeitungen, eine Popularität, die zumeist einem brutalen Vergehen oder einer hirnlosen Aktion zu verdanken war, beides Dinge, die geradewegs in die Untersuchungshaft oder auf den Tisch des Leichenbeschauers führten.
    Wyatts Ziel lag einen halben Block westlich der Argyle Street — ein Friseurladen hinter einer mit Fliegendreck verschmierten Schaufensterscheibe. Die vergilbten Reklameplakate hinter der Scheibe waren bereits vor fünfzehn Jahren inaktuell gewesen, Relikte eben, wie die staubbedeckte Haarschneideschere, die auf einer mit Krepp-Papier umhüllten Hutschachtel im Zentrum der Auslage lag. Wyatt hatte nie einen Kunden auf einem der Friseurstühle sitzen oder auf einem der Stühle entlang der Wand warten sehen, aber er wusste inzwischen, dass der Laden seit den fünfziger Jahren existierte und dass diejenigen, mit denen er von Zeit zu Zeit zu tun hatte, auf ihn schworen, da sie ihn über all die Jahre als perfekten Briefkasten schätzen gelernt hatten.
    Auf einem der Friseurstühle saß ein Mann und las den Hobart Mercury. Die Ärmel seines weißen Hemdes waren hochgekrempelt und er hatte den Knoten seiner breiten, paisleygemusterten Krawatte am Hals gelockert. Die Fülle seines glatten schwarzen Haars

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