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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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die Straße
hinunter. Als er vom Essen zurückkam, stand ich immer noch
wie angenagelt, meine Kamera gegen die Brust gepreßt. »Na
schön«, murmelte er besiegt, »aber ich warne Sie, junge Dame,
ich werde keine besondere Rücksicht auf Sie nehmen. Wer
hierherkommt, gehorcht schweigend und lernt rasch,
verstanden?« Ich nickte nur, sagen konnte ich nichts. Meine
Großmutter, gewöhnt, Dinge auszuhandeln, akzeptierte meine
Leidenschaft für das Fotografieren, falls ich die gleiche Anzahl
Stunden für Schulfächer aufwendete, wie sie an
Jungengymnasien gelehrt würden, einschließlich Latein und
Theologie, denn ihrer Meinung nach fehlte es mir nicht an
geistiger Fähigkeit, sondern an Härte. »Warum schicken Sie
mich nicht auf eine öffentliche Schule?« fragte ich bittend, weil
mich die Gerüchte über die weltliche Erziehung der Mädchen
dort begeisterten, die mein Tantenvolk so entsetzten. »Die sind
für Leute einer anderen Klasse, das würde ich dir nie erlauben«,
entschied meine Großmutter. Und so zogen wieder Lehrer durch
das Haus, von denen einige Geistliche waren, bereit, mich zu
unterrichten im Tausch gegen saftige Spenden meiner
Großmutter an ihre Kongregationen. Ich hatte Glück, im
allgemeinen behandelten sie mich nachsichtig, sie erwarteten
gar nicht erst, daß mein Gehirn den Lehrstoff so gut aufnahm
wie das eines männlichen Schülers. Don Juan Ribero dagegen
verlangte viel mehr von mir, weil er behauptete, eine Frau
müsse sich tausendmal mehr anstrengen als ein Mann, wenn sie
geistig oder künstlerisch respektiert werden wollte. Er lehrte
mich alles, was ich über Fotografie weiß, von der Auswahl einer
Linse bis zur langwierigen Arbeit des Entwickelns; einen
anderen Lehrer habe ich nie gehabt. Als ich zwei Jahre später
sein Atelier verließ, waren wir Freunde. Jetzt ist
er
vierundsiebzig und arbeitet seit ein paar Jahren nicht mehr, weil
er blind ist, aber er leitet noch immer meine unsicheren Schritte
und hilft mir, wenn ich nicht weiterweiß. Absolute
Ernsthaftigkeit ist sein Leitsatz. Das Leben begeistert ihn, und
die Blindheit hindert ihn nicht, die Welt weiterhin zu betrachten.
Er hat eine besondere Art der Klarsichtigkeit entwickelt. Wie
andere Blinde Menschen um sich haben, die ihnen vorlesen, hat
er Menschen, die beobachten und ihm davon erzählen. Seine
Schüler, seine Freunde und seine Kinder besuchen ihn täglich
und wechseln sich darin ab, ihm zu beschreiben, was sie sich
angeschaut haben: eine Landschaft, eine Szene, ein Gesicht,
einen Lichteffekt. Sie müssen lernen, sehr sorgfältig
achtzugeben, um dem erschöpfenden Verhör durch Don Juan
Ribero standzuhalten; so verändert sich ihr Leben, sie können
nicht länger mit der gewohnten Unbeschwertheit durch die Welt
gehen, weil sie mit den Augen des Meisters sehen müssen. Auch
ich besuche ihn oft. Er empfängt mich in dem ewigen
Halbdunkel seiner Wohnung in der Calle Monjitas, im Sessel
am Fenster sitzend, seine Katze auf den Knien, und immer
gastfreundlich, immer neugierig. Ich halte ihn auf dem
laufenden über die technischen Fortschritte auf dem Gebiet der
Fotografie, beschreibe ihm bis ins kleinste jedes Bild in den
Büchern, die ich mir aus New York und Paris schicken lasse,
frage ihn um Rat, wenn ich Zweifel habe. Er weiß über alles
Bescheid, was in diesem Beruf vor sich geht, ist leidenschaftlich
interessiert an den verschiedenen Tendenzen und Theorien,
kennt die herausragenden Meister in Europa und den
Vereinigten Staaten mit Namen. Schon immer hatte er sich
wütend gegen alle künstlichen Posen gewandt, wie etwa im
Atelier gestellte Szenen, und gegen pseudokünstlerische
Aufnahmen, die durch mehrere übereinandergelegte Negative
entstehen und die seit ein paar Jahren so in Mode sind. Er glaubt
an die Fotografie als ein persönliches Zeugnis: sie ist eine Art,
die Welt zu sehen, und die muß ehrlich sein, sie hat die Technik
als Mittel zu nutzen, um der Wirklichkeit eine Form zu geben,
nicht um sie zu verzerren. Als ich eine Zeitlang darauf versessen
war, Mädchen in riesigen Glasgefäßen zu fotografieren, fragte er
mich so geringschätzig nach dem Warum, daß ich auf diesem
Weg nicht weiterging; als ich ihm aber das Bild beschrieb, das
ich von der Artistenfamilie eines ärmlichen Wanderzirkus
aufgenommen hatte, nackt und verletzlich, war er sofort
interessiert. Ich hatte mehrere Aufnahmen von dieser Familie
gemacht, vor dem jämmerlichen Vehikel, das ihnen als
Wohnung

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