Portrat in Sepia
meinerseits den Unterhaltungen mit meinem
Vater ein Ende machen würde. Ohne daß wir uns darüber
verständigt hatten, wußten wir beide, daß der Inhalt unserer
Gespräche geheim bleiben mußte, was uns in einer
eigentümlichen Komplizenschaft einte. Ich kann nicht sagen,
daß ich meinen Vater liebgewonnen hätte, es war einfach keine
Zeit dazu, aber in den wenigen Monaten, die wir unter einem
Dach lebten, legte er mir einen Schatz in die Hände, indem er
mir Einzelheiten zu meiner Geschichte schenkte, vor allem über
meine Mutter Lynn Sommers. Er wiederholte mir immer wieder,
daß ich das echte Blut der del Valles in den Adern hätte, das
schien ihm sehr wichtig zu sein. Später erfuhr ich, daß er,
angeregt von Frederick Williams, der auf jedes Mitglied dieser
Familie großen Einfluß hatte, mir noch zu Lebzeiten den ihm
zustehenden Teil des Familienerbes übertragen hatte,
mündelsicher auf mehreren Bankkonten und in Aktienpaketen,
zur Enttäuschung eines Priesters, der ihn täglich besuchte in der
Hoffnung, etwas für die Kirche zu bekommen. Das war ein
mürrischer Mensch im Geruch der Heiligkeit- er hatte seit
Jahren weder gebadet noch die Soutane gewechselt
-, der
berüchtigt war für seine religiöse Intoleranz und sein Talent,
begüterte Sterbende aufzuspüren und zu überreden, sie sollten
doch ihren Reichtum für wohltätige Werke stiften. Die
vermögenden Familien sahen ihn mit wahrem Grausen kommen,
denn er kündigte den Tod an, aber keiner wagte es, ihm die Tür
vor der Nase zuzuschlagen. Als mein Vater begriff, daß das
Ende gekommen war, ließ er Severo rufen, obwohl sie praktisch
nicht miteinander sprachen, um sich mit ihm über mich zu
verständigen. Severo holte einen Notar ins Haus, und die beiden
Vettern unterschrieben ein Dokument, in dem Severo von der
Vaterschaft zurücktrat und Matías Rodríguez de Santa Cruz
mich als seine Tochter anerkannte. So schützte er mich vor
seinen zwei jüngeren Brüdern, die beim Tod meiner Großmutter
neun Jahre später alles an sich rissen, was sie nur ergattern
konnten.
Meine Großmutter hängte sich mit abergläubischer Zuneigung
an Amanda Lowell, sie glaubte, solange die in der Nähe war,
würde Matías leben. Paulina fühlte sich im allgemeinen mit
niemandem innig verbunden, außer bisweilen mit mir, sie fand,
die meisten Leute seien hoffnungslos dumm, und sagte es
jedem, ob er es hören wollte oder nicht, was nicht gerade der
beste Weg war, Freunde zu gewinnen, aber dieser schottischen
Edelhure gelang es, den Panzer zum Schmelzen zu bringen, mit
dem meine Großmutter sich schützte. Zwei unterschiedlichere
Frauen konnte man sich kaum vorstellen, die Lowell, ganz ohne
Ambitionen, lebte in den Tag hinein, ungebunden, frei, ohne
Angst; sie fürchtete weder Armut noch Einsamkeit, noch
Hinfälligkeit, alles nahm sie gutgelaunt hin, das Leben war für
sie eine vergnügliche Reise, die unvermeidbar zu Alter und Tod
führte; wozu sollte man ein Vermögen anhäufen, wenn man
doch nackt ins Grab stieg, sagte sie. Vergangenheit war die
junge Verführerin, die so vielen Männern in San Francisco den
Kopf verdreht hatte, Vergangenheit die Schöne, die Paris
eroberte; jetzt war sie eine Frau in den Fünfzigern ohne jede
Koketterie und ohne Gewissensbisse. Meine Großmutter wurde
nicht müde, ihr zuzuhören, wenn sie aus ihrer Vergangenheit
erzählte, von den berühmten Männern sprach, die sie
kennengelernt hatte, und in den Alben mit Zeitungsausschnitten
und Fotos blätterte; auf mehreren erschien sie jung und strahlend
mit einer Boa um den Leib gewunden. »Das arme Tier starb auf
einer Reise an der Seekrankheit; Schlangen sind keine guten
Reisenden«, erzählte sie uns. Wegen ihrer kosmopolitischen
Bildung und ihrer Anziehungskraft - ohne es zu wollen, brachte
sie es fertig, viel jüngere und hübschere Frauen auszustechen
wurde sie die Seele der Abendgesellschaften meiner Großmutter
und belebte sie in ihrem schlimmsten Spanisch und ihrem mit
schottischem Akzent gesprochenen Französisch. Es gab scheint’s
kein Thema, über das sie nicht reden konnte, kein Buch, das sie
nicht gelesen hatte, keine bedeutende Stadt in Europa, die sie
nicht kannte. Mein Vater, der sie liebte und ihr viel verdankte,
sagte, sie sei eine Dilettantin, wisse von allem ein wenig und
viel von nichts, habe aber mehr als genug Einbildungskraft, um
zu ergänzen, was ihr an Kenntnis und Erfahrung fehlte. Für
Amanda Lowell gab es keine
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