Portrat in Sepia
Reisemantel, Lederhandschuhe und einen Tropenhut
mit dichten Schleiern, denn niemals hatte ein Sonnenstrahl, wie
winzig auch immer, ihre Haut gestreift, weshalb sie faltenlos ins
Grab zu sinken gedachte. Ich war völlig geblendet. Wir hatten
diese Reise schon einmal gemacht, in umgekehrter Richtung,
aber damals war ich noch zu klein, um diese majestätische Natur
würdigen zu können. Schritt für Schritt kämpften sich die Tiere
vorwärts, zwischen scharf abfallenden Abgründen und hohen,
vom Wind gekämmten, von der Zeit glattgeschliffenen Wänden
aus purem Fels. Die Luft war dünn wie ein klarer Schleier und
der Himmel ein türkisfarbenes Meer, über das hin und wieder
mit seinen herrlichen Schwingen ein Kondor segelte, der
absolute Herrscher in jenen Reichen. Als die Sonne sank,
veränderte sich die Landschaft völlig; der blaue Frieden dieser
schroffen, feierlichen Natur verschwand, um einem Universum
von geometrischen Schatten Platz zu machen, die sich drohend
um uns bewegten, uns umringten, uns einschlossen. Ein falscher
Schritt, und die Maultiere wären mit uns auf dem Rücken in die
tiefste Tiefe dieser Schluchten gestürzt, aber unser Führer hatte
die Wegstrecke gut berechnet, und die Nacht fand uns in einer
verwahrlosten Bretterhütte, einer Zuflucht für Reisende. Wir
befreiten die Tiere von ihren Lasten und machten es uns auf den
Schaffellen und Decken bequem, beleuchtet von Pechfackeln,
obwohl wir die eigentlich nicht brauchten, denn in der hohen
Himmelskuppel herrschte wie eine Sternenfackel ein
weißglühender Mond, der über den hohen Felsen aufgetaucht
war. Wir holten Holz und heizten den Herd an, um uns zu
wärmen und Wasser für den Mate zu kochen; bald ging dieser
Aufguß aus dem bitteren grünen Kraut von Hand zu Hand, und
alle saugten am selben Rohr. Das gab meiner armen Großmutter
Tatkraft und Farbe zurück, sie ließ sich ihre Körbe bringen und
fing an wie eine Gemüsefrau auf dem Markt ihren Proviant zu
verteilen, um endlich einen Happen zu essen. Nun erschienen
die Flaschen mit Branntwein und Sekt, die würzigen Landkäse,
der delikate, zu Hause vorbereitete Schweineaufschnitt, die in
weiße Leinenservietten eingewickelten Brote und Kuchen, aber
ich merkte, daß sie sehr wenig aß und auch keinen Alkohol
trank. Inzwischen hatten die Männer, die geschickt mit ihren
Messern umgehen konnten, zwei Ziegen getötet, die wir hinter
den Maultieren mitgeführt hatten, zogen ihnen das Fell ab und
hängten sie zum Braten zwischen zwei Pfählen auf. Wie die
Nacht verging, weiß ich nicht, ich fiel sofort in einen
totenähnlichen Schlaf und wachte erst früh am Morgen auf, als
es hieß, die halbverbrannten Holzscheite wiederzubeleben,
damit man Kaffee kochen und den Ziegenresten ein Ende
machen konnte. Bevor wir weiterzogen, ließen wir Holz, einen
Sack Bohnen und ein paar Flasche n Alkohol für die nach uns
kommenden Reisenden zurück.
Dritter Teil
1886-1910
Die Hobbs-Klinik wurde von dem berühmten Chirurgen
Ebanizer Hobbs gegründet, und zwar in seinem eigenen
Wohnhaus, einem großen soliden, untadeligen Bau mitten in
Kensington, in dem er Wände herausreißen, Fenster zumauern
und Fliesen legen ließ, bis es aussah wie eine Vogelscheuche.
Der Anblick in dieser eleganten Straße ärgerte die Nachbarn so
sehr, daß Hobbs’ Nachfolger keine Schwierigkeiten hatten, die
angrenzenden Häuser aufzukaufen, um die Klinik zu vergrößern,
aber die behielten ihre Fassaden bei, so daß sie sich in nichts
von den gleichförmig in edwardianischem Stil errichteten
Häuserreihen des ganzen Blocks unterschieden. Innen war die
Klinik ein Labyrinth aus Zimmern, Treppen, Gängen und
Luken, die nirgendhin führten. Es gab nicht wie in den alten
Krankenhäusern der Stadt das typische chirurgische
Amphitheater, das aussah wie eine Stierkampfarena eine
Manege in der Mitte, mit Sägespänen oder Sand bedeckt und
von Galerien für Zuschauer umgeben
-, sondern kleine
Operationssäle, die Wände, Decken und Fußböden mit Fliesen
und Metallplatten verkleidet und ausgelegt, die täglich mit
Seifenlauge geschrubbt wurden, denn der verstorbene Doktor
Hobbs war einer der ersten gewesen, die sich Kochs Theorie von
der Verbreitung von Infektionen und Listers Asepsis-Methoden
zueigen gemacht hatten - der größte Teil der Ärzteschaft lehnte
beides noch aus Arroganz oder aus Trägheit ab. Es war
unbequem, mit den alten Gewohnheiten zu brechen, Hygiene
war eine langweilige,
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