Portrat in Sepia
bearbeiten und ihn schließlich
überredete, er könne doch allein weiterfahren, während wir
unsere Einkäufe machten und später zu ihm stoßen würden. Ich
weiß nicht, ob Williams wirklich nicht argwöhnte, daß seine
Frau krank war, oder ob er die Wahrheit ahnte und sie, ihre
Schamhaftigkeit achtend, in Frieden ließ; jedenfalls brachte er
uns in London im Hotel Savoy unter, und als er sicher war, daß
es uns an nichts fehlte, machte er sich ohne sonderliche
Begeisterung auf zur Fahrt über den Ärmelkanal.
Meine Großmutter wünschte keine Zeugen ihrer Hinfälligkeit,
und Williams gegenüber war sie besonders zurückhaltend. Das
gehörte zu der Koketterie, die sie sich zugelegt hatte, als sie
heiratete, und die es vorher dem Butler Williams gegenüber
nicht gegeben hatte. Damals hatte sie keinen Anstoß daran
genommen, ihm die schlimmsten Seiten ihres Charakters zu
zeigen und vor ihm aufzutreten, wie es ihr paßte, aber seither
bemühte sie sich, ihn mit ihrer Schokoladenseite zu
beeindrucken. Diese herbstliche Verbindung bedeutete ihr sehr
viel, und sie wollte nicht, daß ihr schlechter Gesundheitszustand
den festgefügten Bau ihrer Eitelkeit ins Schwanken brächte,
deshalb war sie bemüht, ihren Mann fernzuhalten, und wenn ich
nicht stur geblieben wäre, hätte sie auch mich ausgeschlossen;
es kostete einiges an Kampf, bis sie mir erlaubte, sie bei ihren
Arztbesuchen zu begleiten, aber schließlich ergab sie sich
meiner Dickköpfigkeit und ihrer Schwäche. Sie hatte Schmerzen
und konnte kaum schlucken, aber sie schien keine Angst zu
haben, wenn sie auch gern Witze machte über die
Unannehmlichkeiten in der Hölle und die Langeweile im
Himmel. Die Hobbs-Klinik flößte ihr von der Schwelle an
Vertrauen ein mit der großen Eingangshalle, in der ringsherum
Regale voller Bücher standen und Ölgemälde an den Wänden
hingen mit den Porträts der Chirurgen, die in diesem Hause ihre
Arbeit getan hatten. Uns empfing eine Oberschwester,
mustergültig in Kleidung und Manieren, und führte uns in das
Sprechzimmer des Arztes, einen Empfangssaal mit eleganten
englischen Möbeln aus braunem Leder und einem Kamin, in
dem prasselnd große Holzscheite brannten.
Der Anblick des Doktor Gerald Suffolk war so beeindruckend
wie sein Ruf. Er sah ausgesprochen englisch aus, so groß und
rotwangig wie er war, und hatte eine tiefe Narbe in der Wange,
die ihn keineswegs häßlich, sondern absolut unvergeßlich
machte. Auf seinem Schreibtisch lagen die Briefe, die meine
Großmutter ihm geschrieben hatte, die Berichte der
konsultierten chilenischen Spezialisten und das Päckchen mit
den Gummihandschuhen, das Paulina ihm an diesem Morgen
durch Boten hatte zukommen lassen, eine unnötige
Vorsichtsmaßnahme, wie wir später erfuhren, denn die wurden
in der Hobbs-Klinik schon seit drei Jahren verwendet. Suffolk
begrüßte uns, als wären wir zu einem Höflichkeitsbesuch
gekommen, und bot uns einen mit Kardamom aromatisierten
türkischen Kaffee an. Er führte meine Großmutter in einen
angrenzenden Raum, und nachdem er sie untersucht hatte, kam
er wieder herein und fing an, in einem Buch zu blättern. Bald
erschien auch die Patientin wieder, und der Chirurg bestätigte
die Diagnose der chilenischen Ärzte: meine Großmutter litt an
einem Magen-Darm-Tumor. Er fügte hinzu, der Eingriff sei
riskant ihres Alters wegen und weil er noch im
Experimentierstadium sei, aber er habe für diese Fälle eine
perfekte Technik entwickelt, aus aller Welt kämen Ärzte, um
von ihm zu lernen. Er sprach mit soviel Herablassung, daß mir
unwillkürlich mein Lehrer Don Juan Ribero in den Sinn kam,
für den Eitelkeit das Vorrecht der Nichtswisser war; der Weise
ist bescheiden, weil er weiß, wie wenig er weiß. Meine
Großmutter verlangte, er solle ihr im einzelnen erklären, was er
mit ihr zu machen gedenke, und das verblüffte den Arzt denn
doch sehr, er war es gewohnt, daß die Kranken sich der
unbestreitbaren Autorität seiner Hände mit der
Schicksalsergebenheit von Hühnern auslieferten, aber dann
nutzte er die Gelegenheit und verbreitete sich über das Thema in
einem Vortrag, bei dem es ihm mehr darauf ankam, uns mit der
Kunstfertigkeit seiner Skalpellführung zu beeindrucken, als das
Wohl seiner unglücklichen Patientin zu bedenken. Er machte
eine Zeichnung von Därmen und Organen, die wie eine
wahnsinnig gewordene Maschinerie aussahen, und zeigte uns,
wo sich der Tumor befand und wie er ihn zu entfernen
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