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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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die
Temperatur, überhörten aber die Klagen der Patientin. Verlangte
sie etwa, es solle nicht weh tun? Sie sollte lieber den Mund
halten und dankbar sein, daß sie ihr das Leben gerettet hatten;
der junge chilenische Arzt dagegen sparte nicht am Morphium,
weil er glaubte, andauerndes Leiden breche die körperliche und
moralische Widerstandskraft des Kranken, verzögere oder
verhindere die Genesung, wie er Williams erklärte. Wir
erfuhren, daß er Iván Radovic hieß und aus einer Arztfamilie
stammte, sein Vater war Ende der fünfziger Jahre vom Balkan
nach Chile ausgewandert, hatte eine Lehrerin aus dem
chilenischen Norden geheiratet und drei Söhne bekommen, von
denen zwei in seine Fußstapfen getreten waren. Sein Vater,
erzählte er, war an Typhus gestorben während des
Salpeterkrieges, in dem er drei Jahre als Wundarzt gearbeitet
hatte, und seine Mutter mußte die Familie allein durchbringen.
Ich hörte zu und konnte dabei das Klinikpersonal beobachten,
wenn mir danach war, und fing manchen Kommentar auf, der
nicht für meine Ohren bestimmt war, denn keiner der Ärzte
außer Doktor Radovic ließ erkennen, daß er meine Gegenwart
überhaupt bemerkte. Ich würde demnächst sechzehn werden,
und mein Haar war immer noch mit einer Schleife
zusammengebunden, und ich trug Kleider, die meine
Großmutter für mich ausgesucht hatte, lächerliche
Kleinmädchensachen, um mich so lange wie nur möglich in der
Kindheit festzuhalten. Das erste Mal, daß ich mir etwas zu
meinem Alter Passendes anziehen konnte, war, als Frederick
Williams mich ohne ihre Erlaubnis zu Whiteney’s führte und mir
den ganzen Laden zu Füßen legte. Als wir ins Hotel
zurückkamen und ich mich vorstellte, das Haar zum Knoten
gewunden und als Señorita gekleidet, erkannte sie mich nicht
wieder, aber das war Wochen später. Paulina muß die Kraft
eines Ochsen gehabt haben, sie hatten ihr den Magen
aufgeschnitten, hatten einen Tumor von der Größe einer
Pampelmuse herausgeholt, hatten sie zugenäht wie einen Schuh,
und bevor zwei Monate vergangen waren, war sie wieder die
alte. Von diesem fürchterlichen Abenteuer verblieben ihr nur
eine grobe Freibeuternaht quer über den Leib und ein gieriger
Appetit auf das Leben und natürlich aufs Essen. Wir reisten ab
nach Frankreich, als sie noch kaum ohne Stock gehen konnte.
Die ihr von Doktor Suffolk verordnete Diät ließ sie gänzlich
beiseite, denn, sagte sie, schließlich sei sie nicht vom Arsch der
Welt nach Paris gekommen, um wie ein Neugeborenes Brei zu
mampfen. Unter dem Vorwand, die Herstellung von Käse und
die kulinarische Tradition Frankreichs zu studieren, stopfte sie
sich mit jeder Delikatesse voll, die dieses Land ihr anzubieten
hatte. Glücklich untergebracht in dem kleinen Hotel, das
Frederick Williams am Boulevard Haussmann angemietet hatte,
setzten wir uns mit der unglaublichen Amanda Lowell in
Verbindung, immer noch mit dem Aussehen einer
Wikingerkönigin im Exil. In Paris war sie in ihrem Element, sie
wohnte in einer etwas schäbigen, aber gemütlichen Mansarde,
durch deren Fensterchen man die Tauben auf den Dächern
ringsum und den so oft gemalten Himmel über Paris sehen
konnte. Wir bekamen bestätigt, daß ihre Geschichten über das
Leben der Boheme und ihre Freundschaft mit berühmten
Künstlern nicht übertrieben waren, ihr hatten wir es zu
verdanken, daß wir die Ateliers von Cézanne, Sisley, Degas,
Monet und verschiedenen anderen besuchen durften. Die Lowell
mußte uns erst einmal beibringen, diese Gemälde zu würdigen,
unsere Augen waren für den Impressionismus nicht geschult,
aber schon sehr bald waren wir völlig bezaubert. Meine
Großmutter erwarb eine ganze Kollektion von Werken, die
beträchtliche Heiterkeitsausbrüche bewirkten, als sie sie in
ihrem Haus in Chile aufhängte, keiner begriff die kreisenden
Himmel van Goghs oder die müden Varietesängerinnen
Toulouse-Lautrecs, und alle meinten, in Paris habe man die
schlaue Paulina del Valle endlich einmal kräftig ausgenommen.
Als Amanda Lowell merkte, daß ich mich nie von meiner
Kamera trennte und Stunden eingeschlossen in einem Zimmer
verbracht e, das ich mir in dem kleinen Hotel als Dunkelkammer
eingerichtet hatte, bot sie mir an, mich den berühmtesten
Fotografen der Stadt vorzustellen. Wie mein Lehrer Juan Ribero
war auch sie der Ansicht, die Fotografie stehe nicht in
Konkurrenz zur Malerei, beide unterschieden sich grundsätzlich
voneinander; der Maler interpretiere die

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