Portrat in Sepia
bemerkenswert
finden könnte. Frederick Williams meinte, es sei unklug, sich
auf den ersten zu versteifen, der vorbeikam, ich sei noch sehr
jung und werde mehr als genug Bewerber finden, um in Ruhe
auszuwählen, aber meine Großmutter behauptete, dieser junge
Mensch sei das Beste, was der Heiratsmarkt zu bieten habe, so
nachteilig es auch sei, Gutsherr zu sein und auf dem Lande zu
leben, weit weg von der Hauptstadt. »Aber mit dem Schiff oder
der Eisenbahn ist das Reisen kein Problem«, sagte sie.
»Großmutter, greifen Sie nicht so weit vor, Señor Dominguez
hat mir nichts von dem auch nur angedeutet, was Sie sich
vorstellen«, erklärte ich ihr, rot bis über die Ohren.
»Dann soll er’s lieber bald machen, sonst werde ich ihn mir
mal vorknöpfen.«
»Nein!« rief ich entsetzt.
»Ich werde nicht zulassen, daß meine Enkelin sich kränkt.
Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn dieser junge Mann
keine ernsten Absichten hat, soll er sich gefälligst auf der Stelle
verziehen.«
»Aber Großmutter, warum drängen Sie denn so? Wir haben
uns doch gerade erst kennengelernt…«
»Weißt du, wie alt ich bin, Aurora? Sechsundsiebzig. Nur
wenige Menschen leben so lange. Bevor ich sterbe, muß ich
wissen, daß du gut verheiratet bist.«
»Sie sind unsterblich, Großmutter.«
»Nein, Kind, ich sehe nur so aus.« Ich weiß nicht, ob sie
Diego Dominguez wirklich wie geplant in die Enge getrieben
hat oder ob er die Anspielungen begriff und darauf seine
Entscheidung traf. Heute, wo ich diese Episode aus einiger
Distanz und mit Humor sehen kann, begreife ich, daß er nie in
mich verliebt war, er fühlte sich einfach geschmeichelt von
meiner bedingungslosen Liebe und dürfte auch die Vorteile
einer solchen Verbindung erwogen haben. Vielleicht wollte er
mich haben, weil wir beide jung und gerade zur Stelle waren,
vielleicht glaubte er, daß er mich mit der Zeit schon lieben
werde, vielleicht heiratete er mich aus Trägheit und
Zweckmäßigkeit. Diego war eine gute Partie, aber ich war es
auch: ich verfügte über die Rente, die mein Vater mir
hinterlassen hatte, und außerdem würde ich vermutlich von
meiner Großmutter ein Vermögen erben. Was auch immer seine
Gründe gewesen sein mögen - jedenfalls bat er um meine Hand
und schob mir einen Diamantring auf den Finger. Die
Gefahrenzeichen waren deutlich genug für jeden, der Augen im
Kopf hatte, nur nicht für meine Großmutter, die die Angst, mich
allein zu lassen, blind machte, und nicht für mich, die ich
verrückt vor Liebe war, aber Onkel Frederick sah sie sehr wohl
und blieb auch weiter beharrlich dabei, daß Diego Dominguez
nicht der richtige Mann für mich sei. Doch da ihm noch keiner
gefallen hatte, der sich mir in den letzten zwei Jahren auch nur
von weitem genähert hatte, achteten wir nicht darauf und hielten
es für väterliche Eifersucht. »Mir ist aufgefallen, daß dieser
junge Mann ein etwas kaltes Wesen hat«, sagte er mehr als
einmal, aber meine Großmutter widersprach ihm: das sei keine
Kälte, sondern Respekt, wie er sich für einen vollendeten
chilenischen Ehrenmann gehöre. Paulina geriet in einen
Kaufrausch. In der Eile wanderten die Pakete ungeöffnet in die
Koffer, und als wir sie dann später in Santiago ans Licht holten,
stellte sich heraus, daß alle Sachen doppelt waren und die Hälfte
der Kleider mir gar nicht stand. Als Paulina erfuhr, daß Diego
Dominguez nach Chile zurückmußte, sprach sie sich mit ihm ab,
daß wir mit dem gleichen Transatlantikdampfer reisen würden,
so würden wir ein paar Wochen gewinnen, in denen wir uns
besser kennenlernen konnten, wie sie sagten. Frederick Williams
zog ein langes Gesicht und versuchte, diesen Plan zu vereiteln,
aber keine Macht der Welt hätte es geschafft, dieser Frau
entgegenzuwirken, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt
hatte, und jetzt war sie versessen darauf, ihre Enkelin zu
verheiraten. An die Reise erinnere ich mich nicht besonders
deutlich, sie verlief in einem Nebel von Spaziergängen auf
Deck, Ball- oder Kartenspielen, Cocktailpartys und
Tanzabenden bis Buenos Aires, wo wir uns trennen würden,
weil Diego einige Zuchtbullen kaufen und über die südliche
Andenroute zu seinem Gut bringen mußte. Wir hatten sehr
wenig Gelegenheit, allein zu sein oder uns ohne Zeugen zu
unterhalten, ich erfuhr das Wesentlichste über die
dreiundzwanzig Jahre seiner Vergangenheit und über seine
Familie, aber fast nichts über das, was er am liebsten machte,
woran er
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