Portrat in Sepia
Paulinas
Augen funkelten vor Begeisterung, als sie Diego Dominguez sah
- endlich hatten wir einen akzeptablen möglichen Freier vor uns,
den Sohn von Leuten, die man kannte, bestimmt reich, mit
vollendeten Manieren und sogar hübsch. Sie stimmte zu, er
reichte mir die Hand, und auf ging’s. Nach dem ersten Walzer
nahm Señor Dominguez meine Ballkarte, füllte sie mit seinem
Namen und schied mit einem Federstrich den Sextantenexperten
und andere Kandidaten aus. Daraufhin schaute ich ihn mir
genauer an und mußte zugeben, daß er sehr gut aussah, er
strahlte Gesundheit und Kraft aus, hatte ein angenehmes
Gesicht, blaue Augen und eine männliche Haltung. Er schien
sich in seinem Frack nicht recht wohl zu fühlen, aber er bewegte
sich sicher und tanzte - also auf jeden Fall besser als ich, die ich
tanze wie eine Gans; zudem verschlimmerte die Aufregung
meine Ungeschicklichkeit. An diesem Abend verliebte ich mich
mit der ganzen Leidenschaft und Unvernunft der ersten Liebe.
Diego Dominguez führte mich mit fester Hand über die
Tanzfläche und sah mich unverwandt an, allerdings fast die
ganze Zeit schweigend, weil seine Versuche, einen Dialog
zustande zu bringen, an meinen einsilbigen Antworten
abprallten. Meine Schüchternheit wurde mir zur Qual, ich
konnte seinem Blick nicht standhalten und wußte nicht, wohin
ich meinen richten sollte; als ich seinen warmen Atem an
meinen Wangen spürte, wurden mir die Knie weich; ich kämpfte
verzweifelt gegen die Versuchung an, wegzurennen und mich
unter irgendeinem Tisch zu verstecken. Ich dürfte wirklich eine
traurige Figur abgegeben haben, und dieser unglückselige junge
Mensch fühlte sich an mich gefesselt, weil er aus schierer
Angeberei meine Karte mit seinem Namen vollgekritzelt hatte.
Irgendwann sagte ich ihm dann auch, er sei nicht verpflichtet,
mit mir zu tanzen, wenn er nicht wolle. Er lachte laut auf, das
einzige Mal an diesem Abend, und fragte mich, wie alt ich sei.
Ich hatte noch nie die Arme eines Mannes um mich gefühlt noch
den Druck einer männlichen Hand auf meiner Taille. Meine
Hände ruhten eine auf seiner Schulter und die andere in seiner
behandschuhten Linken, nur leider ohne die taubenhafte
Leichtigkeit, die meine Tanzlehrerin ve rlangte, weil er mich
sehr entschlossen an sich drückte. In einigen kurzen Pausen bot
er mir Champagner an, den ich trank, weil ich nicht wagte, ihn
zurückzuweisen, mit dem vorhersehbaren Erfolg, daß ich ihm
beim Tanzen noch häufiger auf die Füße trat. Als gegen Ende
des Festes der chilenische Gesandte das Wort ergriff, um auf
sein fernes Vaterland und auf »la douce France« anzustoßen,
stellte Diego Dominguez sich so nah hinter mich, wie der Saum
meines Meringekleides erlaubte, und flüsterte mir in den
Nacken, ich sei »bezaubernd« oder etwas in dem Stil. In den
folgenden Tagen fragte Paulina ihre Diplomatenfreunde aus, um
alles, aber auch alles, was nur möglich war, über die Familie
und die Vorfahren von Diego Dominguez zu erfahren, ehe sie
ihm gestattete, mich zu einem Ritt durch den Bois de Boulogne
abzuholen, bei dem sie und Onkel Frederick aus angemessener
Entfernung in einer Kutsche über uns wachten. Danach aßen wir
zu viert Eis unter Sonnenschirmen, warfen den Enten
Brotkrumen zu und verabredeten uns, noch in dieser Woche
gemeinsam die Oper zu besuchen. Von Spazierritt zu Spazierritt
und von Eis zu Eis gelangten wir so in den Oktober. Diegos
Reise nach Europa war von seinem Vater inszeniert worden als
die obligatorische Fahrt ins Abenteuer, die fast alle jungen
Chilenen der Oberklasse einmal im Leben unternehmen, um die
Eierschalen abzustreifen. Nachdem er mehrere Städte besichtigt,
pflichtgemäß einige Museen und Kathedralen besucht und sich
im übrigen ins Nachtleben und in galante Techtelmechtel
gestürzt hatte, was ihn nach allgemeinem Glauben für immer
von diesem Laster heilen und ihm andererseits Material geben
würde, vor seinen Freunden zu prahlen, nach alldem war er nun
bereit, nach Chile zurückzukehren und vernünftig zu werden, zu
arbeiten, zu heiraten und eine eigene Familie zu gründen.
Verglichen mit Severo, in den ich immer verliebt war in meiner
Kleinmädchenzeit, sah Diego Dominguez eher durchschnittlich
aus, und verglichen mit Matilde Pineda war er dumm, aber ich
war einfach nicht fähig, solche Vergleiche anzustellen: ich war
sicher, den vollkommenen Mann gefunden zu haben, und konnte
kaum an das Wunder glauben, daß er mich
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