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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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arbeiten.
»Warum machen Sie nicht eine Privatklinik auf, Doktor?«
schlug meine Großmutter vor, die ihn inzwischen richtig gern
hatte.
»Ich werde nie das Kapital und die Verbindungen haben, die
dafür nötig sind, Señora del Valle.«
»Ich bin bereit, zu investieren, was meinen Sie dazu?«
»Ich kann auf keinen Fall zulassen, daß…«
»Ich würde es nicht für Sie tun, sondern weil es eine gute
Investition wäre, Doktor Radovic«, unterbrach sie ihn. »Jeder
wird mal krank, die Medizin ist ein großartiges Geschäft.«
»Ich glaube, die Medizin ist kein Geschäft, sie ist ein Recht,
Señora. Als Arzt bin ich zu dienen verpflichtet, und ich hoffe,
eines Tages wird die Gesundheit für jeden Chilenen
erschwinglich sein.«
»Sind Sie etwa Sozialist?« fragte meine Großmutter mit einer
Grimasse des Abscheus, denn seit dem »Verrat« der Senorita
Pineda roch sie überall Sozialismus. »Ich bin Arzt, Señora del
Valle. Heilen ist alles, was mich interessiert.«
    Wir kamen Ende Dezember 1898 in Chile an und fanden uns
in einem Land wieder, das in einer tiefen moralischen Krise
steckte. Keiner, von den reichen Großgrundbesitzern bis zu den
Lehrern oder den Arbeitern in den Salpetergruben, war mit
seinem Schicksal oder mit der Regierung zufrieden. Einige Übel
wie Trunksucht, Faulenzerei, Straßenraub schienen
unausrottbar, ebenso die sozialen Mißstände wie eine
schwerfällige Bürokratie, Arbeitslosigkeit, eine wirkungslos
arbeitende Justiz und die Armut, die in scharfem Kontrast zu der
unverschämten Zurschaus tellung der Reichen stand und eine
vom Norden bis in den Süden reichende wachsende dumpfe Wut
erzeugte. Wir erkannten Santiago kaum wieder: so schmutzig,
so viele ärmlich aussehende Leute, so von Küchenschaben
verseuchte Mietskasernen, so viele Kinder tot, bevor sie laufen
gelernt hatten. Die Zeitungen versicherten, die
Sterblichkeitsziffer der Hauptstadt entspreche der in Kalkutta.
Unser Haus in der Calle Ejército Libertador war inzwischen von
zwei verarmten Tanten - zwei der vielen entfernten Verwandten,
wie sie jede chilenische Familie hat - sowie einigen Dienstboten
gehütet worden. Die Tanten hatten über zwei Jahre in diesem
Reich geherrscht und empfingen uns ohne besonderen
Enthusiasmus, und Caramelo war so alt geworden, daß er mich
nicht wiedererkannte. Der Garten war ein Unkrautdickicht, die
maurischen Brunnen waren ausgetrocknet, die Salons rochen
nach Grab, die Küchen sahen aus wie Schweinekoben, und unter
den Betten lagen Mäusekötel, aber nichts davon konnte Paulina
del Valle umwerfen, sie war jetzt hier und entschlossen, die
Hochzeit des Jahrhunderts zu feiern, und sie würde nicht dulden,
daß irgend etwas, sei es ihr Alter, sei es die Hitze in Santiago
oder mein Hang, mich abzukapseln, sie daran hinderte. Sie
nutzte die Sommermonate, wenn alle Welt an die See oder aufs
Land fuhr, um das Haus herzurichten, denn im Herbst begann
das volle gesellschaftliche Leben, während dessen sie sich auf
meine Hochzeit vorbereiten mußte, die im September stattfinden
sollte, dem Monat des Frühlingsanfangs, Monat der
vaterländischen Feste und der Bräute, genau ein Jahr nachdem
Diego und ich uns zum erstenmal begegnet waren. Frederick
Williams nahm es auf sich, ein Regiment von Maurern,
Möbeltischlern, Gärtnern und Dienstmädchen einzustellen, die
vor der Aufgabe standen, das Chaos im üblichen chilenischen
Tempo zu lichten, das heißt ohne allzu große Eile. Der Sommer
war staubig und trocken, es roch nach Pfirsich, und die Händler
boten lautstark die Köstlichkeiten der Saison an. Wer es sich
irgend leisten konnte, war in die Ferien gefahren, die Stadt
schien ausgestorben. Severo kam zu Besuch mit Säcken voll
Gemüse, Körben mit Früchten und guten Nachrichten von den
Weinbergen; er war braungebrannt und kräftiger und hübscher
denn je. Mich sah er mit offenem Mund an, höchst erstaunt, daß
ich nicht mehr das kleine Mädchen war, von dem er sich vor
zwei Jahren verabschiedet hatte, ich mußte mich wie ein Kreisel
drehen, damit er mich von allen Seiten begutachten konnte, und
sein großzügiges Urteil lautete, ich sähe meiner Mutter ähnlich.
Meine Großmutter nahm die Feststellung sehr ungnädig auf,
meine Vergangenheit durfte in ihrer Gegenwart nicht erwähnt
werden, für sie begann mein Leben mit fünf Jahren, als ich ihr
Palais in San Francisco betrat, was davor war, existierte nicht.
Nivea war mit den Kindern auf dem Gut geblieben,

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