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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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eine kräftige Dosis
Laudanum verabreichte. Wir ließen sie im Bett ausruhen, gingen
aus dem Zimmer, und draußen erklärte er mir, es handle sich um
einen weiteren Tumor, aber sie sei schon zu alt, um sich ein
zweites Mal operieren zu lassen, sie würde schon die Anästhesie
nicht durchhalten; ihm bleibe nur die Aufgabe, die Schmerzen
zu lindern und ihr beizustehen, damit sie in Frieden sterben
könne. Ich wollte wissen, wieviel Zeit ihr noch blieb, aber das
war nicht so einfach zu bestimmen, weil meine Großmutter trotz
ihres Alters sehr kräftig war und der Tumor nur langsam wuchs.
»Bereiten Sie sich nur darauf vor, Aurora, das Ende kann binnen
weniger Monate kommen«, sagte er. Ich konnte die Tränen nicht
zurückhalten, Paulina del Valle war mein einziger Halt, ohne sie
trieb ich im Leeren, und daß ich Diego zum Mann hatte,
erleichterte nicht das Gefühl, gestrandet zu sein, es verstärkte es
eher noch. Radovic reichte mir sein Taschentuch, schweigend
und ohne mich anzusehen, meine Tränen verwirrten ihn. Ich ließ
ihn versprechen, daß er mich rechtzeitig benachrichtigen werde,
damit ich kommen und sie in ihren letzten Augenblicken
begleiten könne. Das Laudanum wirkte, und sie beruhigte sich
schnell. Als sie eingeschlafen war, begleitete ich Iván Radovic
zum Ausgang. An der Tür fragte er mich, ob er noch ein
Weilchen bleiben dürfe, er habe eine freie Stunde und auf der
Straße sei es sehr heiß. Adela verschlief die Siesta, Frederick
Williams war zum Schwimmen in den Klub gegangen, und das
riesige Haus in der Calle Ejército Libertador sah aus wie ein
reglos daliegendes Schiff. Ich bot ihm ein Glas Saft an, und wir
setzten uns in den Wintergarten mit den Farnen und den
Vogelkäfigen. »Pfeifen Sie, Doktor Radovic«, schlug ich ihm
vor. »Pfeifen? Wozu?«
»Die Indios sagen, Pfeifen ruft den Wind herbei. Wir
brauchen eine frische Brise, um die Hitze ein bißchen zu
dämpfen.«
»Während ich pfeife, könnten Sie mir doch Ihre Fotos holen?
Ich würde sie wirklich sehr gern sehen«, bat er. Ich kam mit ein
paar Schachteln zurück und setzte mich neben ihn, um ihm
meine Arbeit zu erklären. Zuerst zeigte ich ihm einige in Europa
gemachte Aufnahmen, als mich die Ästhetik noch mehr
interessierte als der Inhalt, dann die Platindrucke aus Santiago
und von den Indios und den Pachtbauern des Gutes und zuletzt
die Fotos von den Dominguez. Er betrachtete alles genauso
sorgfältig, wie er meine Großmutter untersuchte, und stellte ab
und zu eine Frage. Bei Diegos Familie stockte er.
»Wer ist diese schöne Frau?« wollte er wissen. »Das ist
Susana, Eduardos Frau, meine Schwägerin.«
»Und ich nehme an, das ist Eduardo, stimmt’s?«, und er zeigte
auf Diego.
»Nein, das ist Diego. Wie kommen Sie darauf, daß er Susanas
Mann ist?«
»Ich weiß auch nicht, es schien mir nur so…« An diesem
Abend breitete ich die Fotos auf dem Fußboden aus und
betrachtete sie stundenlang. Ich ging sehr spät ins Bett und sehr
bedrückt.
    Ich mußte mich von meiner Großmutter verabschieden, weil
wir nach Caleufú zurückfuhren. In dem sonnigen Dezember
Santiagos fühlte meine Großmutter sich besser - der Winter war
auch hier sehr lang und sehr einsam für sie gewesen -, und sie
versprach mir, mich mit Frederick Williams nach Neujahr zu
besuchen, statt am Strand Urlaub zu machen, wie es jeder tat,
der aus der Hochsommerhitze der Stadt entfliehen konnte. So
gut ging es ihr, daß sie uns im Zug bis Valparaiso begleitete, wo
Adela und ich das Schiff Richtung Süden nahmen. Wir kamen
vor Weihnachten auf dem Gut an, wir durften schließlich nicht
bei dem Fest fehlen, das für die Dominguez das wichtigste des
Jahres war. Schon Monate vorher inspizierte Dona Elvira die
Geschenke für die Bauern, die entweder im Haus angefertigt
oder in der Stadt gekauft worden waren: Kleidung und
Spielzeug für die Kinder, Stoffe zum Nähen und Wolle zum
Stricken für die Frauen, Werkzeug für die Männer. Zu
Weihnachten dann wurden Tiere verteilt, Säcke mit Mehl,
Kartoffeln, braunem Zucker, Bohnen und Mais, Trockenfleisch,
Mateblättern, Salz und ganze Mulden mit Quittenkompott, das
im Freien über offenem Feuer in riesigen Kupferpfannen
geschmort wurde. Die Pachtbauern kamen aus allen vier
Himmelsrichtungen des Gutes zum Fest, manche mußten mit
Frau und Kindern tagelang laufen. Rinder und Ziegen wurden
geschlachtet, Kartoffeln und frischer Mais gekocht, Töpfe mit
Bohnen vorbereitet. Meine Aufgabe war es, die

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